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Das schwarze Blut

Titel: Das schwarze Blut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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ist eine stumme Frage. »Während ich«, fährt der Arzt fort, »für die Nachsorge zuständig bin. Ich kümmere mich um Ihre Wunden. Sie sindzahlreich, aber zum Glück oberflächlich, und Ihre Venen vernarben sehr schnell. Sie hatten noch ein paar Verbrennungen vom Kleber, aber auch die gehen nicht tief.« Er drückt ihre Hand.
»Sie sind auf dem Weg der Besserung, glauben Sie mir.«»Mark?«, wagt Khadidscha zu fragen.
Es geht schon besser. Das Brennen lässt nach.
»Noch im Koma. Aber er wird bestimmt wieder aufwachen.
    Wir haben seine Krankenakte vorliegen – das ist ihm ja schon zweimal passiert. Wir haben keinen Grund zur Annahme, dass es diesmal anders sein sollte als die letzten Male.«»Und … seine Wunden?«
»Er hat viel Blut verloren. Innerlich ein einziges Gemetzel.
    Aber die Chirurgen haben alles repariert. Jede Vene genäht – eine Fitzelarbeit, kann ich Ihnen sagen. Es verheilt alles sehr gut.«Khadidscha schließt die Augen. Ihr Körper schmerzt noch immer, doch jetzt ist es ein froher Schmerz. Sie beschwört tröstliche Bilder herauf: ein Haus, Kinder, ein harmonisches Leben mit Mark … Die Bilder zerstieben: Es geht nicht. Sie werden niemals zusammenleben, und niemals mehr werden sie den Raum mit den Wabenzellen vergessen.
    »Re … verdi?«
Der Arzt verzieht zweifelnd das Gesicht.
»Tot.«
»Wie?«
Er hebt die Schultern, lässt ihre Hand los und greift nach demPatientenblatt, das am Fußende des Bettes hängt.
»Ich weiß nichts Genaues.« Er studiert die Fieberkurve. »Die Polizei wird mit Ihnen reden. Dann erfahren Sie allesNähere.«Khadidscha schließt wieder die Augen. Ihre Gedanken prallen gegeneinander. Reverdi tot, Mark am Leben: Sie müsste glücklich sein, erleichtert. Doch tief in ihr brodelt eine Unruhe, eine dumpfe Furcht wie ein dunkles Magma, das nur auf einen Anlass wartet, um sich Bahn zu brechen.
    »Grübeln Sie nicht so viel. Ruhen Sie sich aus.«Er geht zur Tür. An der Schwelle dreht er sich noch einmal um:
»Und die kurzen Haare stehen Ihnen auch sehr gut.«
Khadidscha sieht ihn fragend an.
»In dieser Druckkammer waren Sie mit den Haaren am Stuhl festgeklebt. Die Sanitäter mussten sie abschneiden, während Sie beatmet wurden. Hier in der Klinik haben wir Ihren Haarschnitt dann perfektioniert.« Er lachte. »Darauf sind wir besonders stolz.«Eines Vormittags – sie weiß keine Uhrzeit, kennt aber sehr genau die Nuancen von Schatten und Licht an den Wänden – bekommt sie Besuch.
    Ein Mann mit glatten blonden Haaren.
Ein goldenes Lächeln, wie mit Bienenwachs poliert. Er stellt sich vor. Er ist Polizist. Khadidscha versteht seinenNamen nicht – sie hat noch immer kurze Bewusstseinstrübungen. Er tritt auf sie zu. Sein Gesicht ist lang, sanft, sonnengebräunt. Er trägt einen Dufflecoat und verströmt einen süßen Duft. Wieder muss sie an Bienen denken, an Honig. Es schnürt ihr die Kehle zusammen: Sie sieht das golden schimmernde Fläschchen vor sich, den Pinsel …»Diese Fabrik ist eine hochgefährliche Anlage, für die sehr strenge Sicherheitsvorschriften gelten«, setzt ihr der Polizist mit übergenauer Artikulation auseinander, als spräche er zu einer Tauben, die ihm von den Lippen lesen müsste. »Deshalb gibt es zwei voneinander unabhängige Sicherheitssysteme.«Er rückt einen Stuhl ans Bett und lässt sich vorsichtig nieder: den Rücken gebeugt, mit gefalteten Händen, hellem Lächeln.
    »Das erste System – das Wachpersonal, den Alarm, die automatische Verriegelung aller Türen – hat Reverdi ausgeschaltet. Aber von dem zweiten, verborgenen System, der Überwachung der Atomsphäre, wusste er nichts. Sobald die Atemluft nicht mehr der vorgeschriebenen Norm entspricht, greift automatisch eine ganze Reihe von Sicherheitsmaßnahmen, die in Ihrem Fall schließlich zum Einsatz der Sonderbrigade geführt hat.«Khadidscha versucht sich an die Rettung zu erinnern, doch in ihrem Kopf entsteht nur das Bild vermummter Männer in Weiß, mit undeutlichen Gesten; und Mark, in seinem Blut liegend.
    »Meine Kollegen meinen, dass Reverdi von diesem zweiten Alarmsystem keine Ahnung hatte. Da bin ich mir nicht so sicher. Ich glaube, er war überzeugt, dass ihm Zeit genug blieb, um sein Vorhaben umzusetzen.« Er lächelt dünn. »Ich weiß nicht, was er Ihnen erzählt hat, aber es ist ihm anscheinend zu Kopf gestiegen, und er hat die Zeit aus den Augen verloren. Für Sie war es die Rettung.«Sie nickt unbestimmt. Auf ihrem Nachttisch entdeckt sie ein Sträußchen Gardenien.

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