Das schwarze Blut
ein Signal?« Reverdi hielt inne und lächelte.
»Wegen der Kleider.«
»Wieso?«
Reverdi fuhr sich mit den Fingerspitzen über das Gesicht, vonder Stirn bis zum Kinn.
»Die Laura-Ashley-Kleider meiner Mutter … Als ich im Schrank saß, halb tot vor Angst und dem Ersticken nahe, hingen sie dort auf ihren Bügeln und liebkosten mein Gesicht. Diese zarte Berührung hat sich unauflöslich mit meiner Not verbunden. Wenn mir heute Bambusblätter über das Gesicht streichen, bin ich wieder im Schrank, spüre ich die Stoffe auf der Haut, höre das Luststöhnen meiner Mutter. Und es dürstet mich nach schwarzem Blut …«
Reverdi legte den Atemregler an. Dann setzte er sich seelenruhig auf den Boden und blickte Mark fest an. Das war das Ende.
Khadidscha war zweifellos schon tot. Und Mark hatte höchstens noch ein paar Sekunden. Er hörte Reverdis künstliches Atmen, während er selbst erstickte – vergiftet vom Kohlendioxid.
Reverdi beobachtete ihn. Er brauchte sein Messgerät nicht mehr, es reichte ihm, Marks Gesicht zu betrachten: Sobald seine Züge erstarrten, würde der Taucher das Atemgerät ablegen, den Atem anhalten und das Flämmchen an die mit Honig verschlossenen Wunden halten, um das schwarze Blut hervorquellen zu lassen.
Das Blut.
An der Schwelle des Abgrunds hatte Mark eine Eingebung. Er selbst war verloren – doch er konnte immerhin versuchen, Reverdi sein Ritual zu verderben.
Seine Opferung zu sabotieren.
Mit der Kraft der Verzweiflung blies er die Lunge auf und spannte sämtliche Muskeln an. Allein diese Anstrengung hätte ihn beinahe endgültig ins Jenseits befördert. In der nächsten Sekunde stieß er die Luft wieder aus, so heftig, dass ihm ein scharfer Schmerz durch den Körper fuhr. Er bewirkte nichts – außer dass ihm für eine weitere Sekunde das Bewusstsein schwand.
Gleich darauf aber fing er wieder an, blähte den Brustkorb und ließ die Muskeln hervortreten. Der Tod war unausweichlich – zuvor aber würde er bluten. Er würde dem Eintritt der Zyanose zuvorkommen.
Jetzt zahlte die Anstrengung sich aus: Unter der extrem angespannten Haut begannen die honigverklebten Wundränder hier und dort aufzuplatzen. Wieder spannte er die Brustmuskeln an und sah mit Befriedigung die ersten Blutstropfen hervortreten.
Reverdi riss den Atemregler aus dem Mund und warf einen raschen Blick auf sein Messgerät. Jetzt war auch seiner Stimme der Sauerstoffmangel anzuhören.
»Nein!«, schrie er. »Noch nicht!«
Mark fuhr mit seinen isometrischen Übungen fort:
Anspannung, Pause, Anspannung, Pause … Die Wunden brachen auf, warmes Blut rann über seine Haut – dunkel war es, sehr dunkel, aber immer noch rot. Die Zeremonie war ruiniert. »Noch nicht!«
Reverdi stürzte sich mit gezücktem Messer auf ihn. Mark lächelte. Was konnte er ihm noch anhaben? Ihn töten? Der Stuhl, an den er gefesselt war, stürzte um, sie fielen beide zu Boden. Reverdi lag auf ihm, und sein Gewicht ließ Marks Wunden nur umso heftiger bluten. Mark sah das blutbespritzte Gesicht des Mörders dicht vor sich.
»Noch nicht … noch nicht …«, keuchte Reverdi, während er mit beiden Händen hektisch versuchte, Wundränder zusammenzupressen, doch es waren zu viele – unbeirrt und unaufhaltsam quoll ihm das Blut zwischen den Fingern hervor. Mark schloss die Augen. Heiße Wellen brandeten gegen seine Schlüsselbeine, die Rippen, die Schenkel. Ein Schlachthausgeruch, gemischt mit Honig, stieg ihm in die Nase.
Er überließ sich seiner Ermattung. Unter ihm breitete sich ein warmes Bett aus und verhieß ihm ein zähflüssiges Grab. Er hatte das Gefühl zu versinken – in den Boden und in sich selbst.
Gleichzeitig empfand er eine ungeahnte Leichtigkeit – mit einem Schlag war alle Qual von ihm abgefallen, und er meinte zu fliegen.
Noch einmal schlug er die Augen auf. Reverdi beugte sich über ihn und brüllte, doch Mark hörte nichts mehr. Er spürte das Gewicht nicht mehr. Er hatte den Eindruck, dass der Mörder ihm Lebewohl sagte und die gigantischen Wabenzellen des Raums ihm tanzend zuwinkten, während er sich davonmachte. Wie eine letzte Botschaft schob sich ein Geräusch in seine Betäubung, sehr fern, sehr gedämpft.
Er wandte ein wenig den Kopf.
Und erblickte blendend weiße Gestalten.
Weiß bekleidete Menschen stürmten den Raum. Mit Schutzanzügen, Handschuhen und Atemmasken, alles in Weiß.
Eine Sorte Gebirgsjäger, bewaffnet mit Maschinengewehren. Mark wusste, dass es zu spät war.
Er hatte die Schwelle überschritten.
Doch er sah
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