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Das schwarze Blut

Titel: Das schwarze Blut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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Leben. Reverdi genauso. Frauenmörder.«
Wieder lachte sie, und in ihrer Stimme schwang ein gespieltes Entsetzen mit. Dumpf begriff Mark, was sie sagen wollte: Mord als ultimative Form des Besitzens.
»Frauenheld«, wiederholte das Kätzchen. »Wenn Sie Interview wollen, schicken Sie Freundin.«
»Kann man in Ipoh Kontakt mit ihm aufnehmen?«
»Dort ist er nicht mehr.«
»Wie bitte?«
»Reverdi hat Spital verlassen.«
Mark vergaß seine Höflichkeit.
»Jesusmaria, wo ist er?!«
»Staatliche Haftanstalt Kanara, nahe Kuala Lumpur. Gestern Nachmittag verlegt, Donnerstag, 13. Februar. Ärzte sagen: geheilt. Jedenfalls nicht verrückt. Verantwortlich für Taten.«
Mark wusste nicht, ob das eine gute oder eine schlechte Nachricht war. In Kanara hatte er nicht den Schatten eines Kontaktmanns. Und er hatte noch immer keinen Namen eines Anwalts.
»Wer hat die Verlegung entschieden?«
»Er selber. Er hat Rückkehr in … normales Gefängnis verlangt.«
»Er verlangt …?«
»Er will auf keinen Fall, dass Leute glauben, er verrückt!«
KAPITEL 8
    Der Teller mit seinem Essen unter dem Plastikdeckel war in Fächer unterteilt.
    Im größten Fach schwammen braune Fasern – zweifellos Schaffleisch – in einer fettigen Soße. Daneben lag eine Portion klebriger Reis. Die übrigen zwei Fächer besetzten eine Portion Käse in Plastikfolie und eine kleine schwarze Banane.
    Jacques Reverdi, der mit nacktem Oberkörper auf der Erde saß, überschlug rasch die Kalorien dieser Mahlzeit. Frühstück und Abendessen hinzugerechnet, bekam er rund sechzehnhundert Kalorien am Tag. Also etwa tausend Kalorien weniger, als er gewohnt war. Dieses Ungleichgewicht musste er irgendwie wettmachen.
    Er blickte auf, die Hand gegen die Sonne über die Augen gelegt. Um elf Uhr vormittags war der Hof ein grelles, blendendes Weiß. Die Häftlinge, die in ihren weißen T-Shirts entlang der Kantinenmauer ein wenig Schutz vor der Sonne suchten, standen in einer langen Schlange um ihr Essen an, und ihre Schatten krochen wie lebendige schwarze Tentakel über den Boden. Ein paar hatten ihr Essen schon und saßen tief über den Teller geduckt an der Wand der weiter entfernten Gebäude.
    Die Hauptgebäude – Kantine, Besuchsraum, Verwaltungsbüros – gruppierten sich in der Mitte des Geländes und sahen aus, als wären sie direkt in den Asphalt eingegossen worden. Die Häftlinge konnten sich frei bewegen, stießen jedoch schon nach wenigen Schritten entweder an eine in den Boden gerammte Mauer oder an eine verriegelte Tür. Hier herrschte nur der Anschein von Freiheit – ein Trugbild.
    Reverdi hob den Blick noch höher und musterte die Wachtürme, die an den vier Ecken des Hofs die fensterlosen Mauern ringsherum überragten. Der Drahtverhau auf der Mauerkrone wies anstelle von Stacheln rasiermesserscharfe Klingen auf.
    Er lächelte. Das feindselige Bild gefiel ihm.
Alles besser als Ipoh.
Im Übrigen hatte er es gar nicht so schlecht getroffen füreinen, der in flagranti bei einem Mord erwischt wurde. Während er – mit den Fingern – zu essen begann, dachte er daran, wie oft er danach noch Glück gehabt hatte: In Papan war er um ein Haar dem Lynchmord entgangen. Dann hatte er, obwohl er außer sich war, kein Sterbenswörtchen des Geheimnisses verraten. Das wusste er jetzt, sein letztes Gespräch mit der Psychiaterin von Ipoh am Tag vor der Verlegung hatte es ihm bestätigt: Niemand ahnte etwas.
    Und schließlich war es ihm gelungen, nach Kanara zu kommen, wo er in der Masse unterging: zweitausend Häftlinge, darunter die übelsten Verbrecher des Landes, Mörder, Vergewaltiger, Drogenhändler. Daneben gab es noch einen Frauenblock und einen eigenen Trakt für Minderjährige. Eine richtige Kleinstadt aus weißen und hellgelben Gebäuden, die von früh bis spät das Sonnenlicht reflektierten und derart blendeten, dass es einem bald vor den Augen flimmerte.
    Anfangs hatte Reverdi das Schlimmste befürchtet. Bei der Leibesvisitation war ihm aufgefallen, dass die Wände des Verwaltungsbüros mit Zeitungsausschnitten über seine Festnahme tapeziert waren, und er war sicher, dass es den Wärtern ein Vergnügen wäre, die »Bestie« aus dem Westen in die Knie zu zwingen. Denn auch wenn er jetzt »243-554« hieß, war er ein europäischer Star. Ein berühmter Mörder, dessen Ruf allein eine Verhöhnung der Gefängnisleitung war.
    Doch er hatte sich geirrt: Anscheinend legte man hier in erster Linie Wert auf Ruhe. Er war nicht einmal im Hochsicherheitstrakt untergebracht,

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