Das schwarze Blut
entschied sich für Chanel Nr. 5.
Dann war der Brief fertig, und es galt, den letzten, entscheidenden Punkt zu klären: den Absender. Seine Adresse konnte er ja nicht gut angeben. Er dachte an ein Postfach, doch das kam ihm zu unpersönlich vor. Postlagernd zu schreiben schien ihm schließlich die beste Lösung.
Damit fingen die Probleme aber erst an. Er hätte es sich denken können. Die Post! Diese Institution war ihm seit eh und je verhasst, angefangen beim Postgelb über die endlosen Warteschlagen bis hin zum Frankiersystem, den Briefmarken, dieser Kleberei, die in eine Bastelstube für Kinder passte und nicht in ein Unternehmen des 21. Jahrhunderts. Die Post arbeitete auch in diesem Fall getreu ihrer Devise: Warum einfach, wenn es auch kompliziert geht?
Einen »zeitlich befristeten Lager- und Nachsendeantrag« auf einen beliebigen Familiennamen abzuschließen, das ging nur unter dem eigenen Namen. Mark versuchte sein Glück in einem anderen Postamt, diesmal mit einer Lüge: Eine Freundin, die infolge eines Unfalls derzeit leider bewegungsunfähig sei, wolle sich ihre Briefe postlagernd schicken lassen, und zwar hierher, an dieses Postamt. Er werde ihre Post persönlich abholen.
Der misstrauische Postbeamte hatte ihm daraufhin die Vorschriften erklärt: Zu dem Zweck müsse er sich von seiner Freundin eine Vollmacht ausstellen lassen, allerdings in Anwesenheit eines Briefträgers, der dabei als Zeuge fungiere. Mark traute seinen Ohren nicht. Nur so sei es möglich, den Lagerservice der Post in Anspruch zu nehmen, und auch dann müsse Mark jedes Mal, wenn er die Post abhole, beide Ausweise vorzeigen, seinen und den seiner Freundin.
Ratlos verließ Mark das Postamt mit den unausgefüllten Formularen. Er betrachtete das Problem von allen Seiten und sagte sich, dass alles nichts half- er brauchte den Pass oder Personalausweis einer Frau. Unter deren Namen musste seine Elisabeth ihre Briefe schreiben.
Aber woher nehmen? Mit Einbruch und Diebstahl kannte er sich aus – in seiner Zeit als »der Abstauber« hatte er reichlich Erfahrung gesammelt. Aufs Geratewohl in irgendeine Wohnung einzudringen kam nicht infrage. Er überlegte kurz, ein Schwimmbad aufzusuchen und den Garderobenschrank eines zuvor ausgespähten weiblichen Badegastes aufzubrechen. Es schien ihm jedoch zu riskant, eine in Paris lebende Person in ein Vorhaben wie dieses zu verwickeln: Schließlich ging es darum, einem Mörder eine Falle zu stellen. Ein Dilemma.
Als er am nächsten Morgen erwachte, hatte er eine Eingebung: Er würde einer Touristin oder einer anderen Frau, die sich nur vorübergehend in Frankreich aufhielt, den Pass stehlen. Die Cité Universitaire fiel ihm ein, die Studentenstadt nahe der Porte de Gentilly, die zweifellos die größte Dichte an ausländischen Studenten in Paris aufwies. Er begab sich geradewegs zum Campus, wo er vor einer Ansammlung verschiedenster Architekturen stand, die ihn an die großen Weltausstellungen des vergangenen Jahrhunderts erinnerten. Vorbei an einem italienischen Palazzo, einem englischen Herrenhaus, einer lutherischen Kirche, schritt er durch einen Laubengang mit romanischen Ornamenten, ging an Ziegelfassaden und Freitreppen mit afrikanischen Figuren entlang und wusste nicht recht, wohin sich wenden: Sollte er irgendwo eindringen und einen Schlafsaal suchen? Und was war der richtige Zeitpunkt? Jetzt, am helllichten Tag?
Da kam ihm die rettende Idee: die Garderobe einer Sportanlage.
Im südlichen Teil des Geländes fand er die Fachhochschule, einen Block im Stil der Sowjetarchitektur, sieben Stockwerke hoch, dessen Untergeschoss eine Sporthalle beherbergte. Verstohlen betrat er einen Flur und erblickte unter sich, durch vergitterte Fenster, einen grünen Linoleumboden mit Spielfeldmarkierungen. Ein Glücksfall: Hier trugen zwei Frauenmannschaften ein Volleyballmatch aus. Die Garderobe hatte er bald gefunden – sie war nicht einmal abgeschlossen!
Gegenüber einer langen Reihe von Garderobenhaken standen Metallspinde, die mit Vorhängeschlössern versperrt waren. Das notwendige Werkzeug hatte er bei sich. Er schob einen Schraubenzieher in den ersten Metallhaken und stemmte die Tür auf. Im dritten Spind fand er einen Pass – er gehörte einer Deutschen. Erregt von der Verletzung der Privatsphäre, die er beging, von weiblichen Gerüchen und allerlei Unterwäsche, setzte er seinen Raubzug fort. Er fand noch mehr Pässe, Studentenausweise … Ungefähr im zehnten Spind stieß er auf einen Schatz,
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