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Das schwarze Blut

Titel: Das schwarze Blut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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die Seele gehört Gott. Warum erzähle ich dir das? Weil darin eine tiefe Wahrheit liegt. Zeige mir dein Blut, und ich sage dir, wer du bist … Es genügen wenige Fragen. Antworte mir präzise, und ich werde dir im Gegenzug die Türen zu meinem Inneren öffnen. Du bist vierundzwanzig, schreibst du in deinem ersten Brief. Ich vermute, du hast noch nicht allzu viele Liebesgeschichten erlebt. Aber ich denke auch, dass du kein Mädchen mehr bist. Hast du den Geschlechtsakt vollzogen, Elisabeth? In welchem Alter? Erinnerst du dich an diese erste Nacht?
Ich frage nicht nach deinen Gefühlen, die will ich nicht wissen. Mich interessiert nur eines: Hast du hinterher die Spuren betrachtet, die du auf dem Laken zurückgelassen hast? Hast du es getan, hast du diesen verstohlenen, fast unwillkürlichen Blick auf die Partikel deines Körpers geworfen, die du für immer aufgegeben hast?
Entsinnst du dich der Farbe dieses Blutes? Beschreib mir diese kleinen braunen Inseln, Elisabeth, detailliert und mit deinen Worten. Erzähl mir, was du empfunden hast, als dir der Verlust bewusst wurde. Dieses verlorene Blut war ja ein Stück deiner Seele, das du geopfert hast. Gehen wir noch ein wenig weiter zurück. Schon vor dem Verlust der Jungfräulichkeit hat es eine Schwelle gegeben. Die weibliche Matrix in dir ist zum Leben erwacht. Auch hier hat Blut eine Rolle gespielt. Auch hier gab es kein Zurück mehr … Wie war dieses andere »erste Mal«? Ich frage nicht nach den Umständen. Ich will von dir nur die Erfahrung dieser ersten, warmen und unbekannten Blutung wissen.
Tauche in deine Erinnerung ein und finde die richtigen Worte, um mir hier, auf dem Papier, die Farbe dieser intimen Flüssigkeit vor Augen zu führen. Erzähl mir auch von der Gegenwart: Wie ist dein Menstruationsblut, wie sieht es aus? Wie erlebst du diesen regelmäßigen Ausfluss? Letzte Frage – du siehst, ich verlange nicht viel –, erinnerst du dich an eine Verletzung, infolge eines Unfalls vielleicht, bei der dein Blut geflossen ist? Welche Farbe hatte es? Was hast du bei seinem Anblick gespürt? Gab es hinter dem Schmerz noch andere, zwiespältigere Empfindungen? Eine dumpfe Wollust bei diesem plötzlichen Hervorquellen von Blut, diesem Erguss in die äußere Welt? Hier höre ich auf: Ich will deine Antworten nicht beeinflussen. Schreib mir bald, Elisabeth. Was du mir anvertraust, mag unseren Pakt besiegeln – wie es die Kinder machen, wenn sie sich die Handgelenke ritzen und Blutsbrüderschaft schließen.
Ein letzter Punkt noch, der wesentlich ist: Leg deinem nächsten Brief ein Foto von dir bei. Ich will dein Gesicht betrachten, unbedingt. Und es mir vorstellen, wenn ich an dich denke. Zum Schluss noch ein technisches Detail: Unser weiterer Briefwechsel soll keinesfalls mehr über das Gefängnis erfolgen. Du musst deine Briefe jetzt an die Adresse meines Anwalts schicken, und zwar über DHL: Wenn die Verbindung zwischen uns enger werden soll, muss es auch schneller gehen. Ich will bald deine Antwort lesen – und dich sehen.
    JacquesMark war eiskalt und heiß zugleich.
Der Räuber kam aus seinem Versteck hervor.
Er offenbarte sein abartiges und gewalttätiges Wesen. DieseBesessenheit von Blut! Das war an sich schon ein Scoop. Doch diese unerwartete Wendung hatte auch etwas Beängstigendes: Reverdi näherte sich Elisabeth wie einer Beute. Er wollte sie wittern. Ihr Blut riechen. Warum? Um sie sich besser vorstellen zu können – von Messerstichen übersät?
    Mark streckte die Hände vor sich hin, die noch in Handschuhen steckten, und sah, dass sie zitterten. Vor Begeisterung und vor Furcht. Doch er stand lieber auf, statt über den tektonischen Graben nachzugrübeln, den er da aufgerissen hatte.
    Es gab nur eines zu tun. Sich auf die Suche nach den geforderten Auskünften zu machen.
KAPITEL 24
    »Kommen Sie wegen Ihrer Frau?«
»Ich bin nicht verheiratet.«
»Einer Freundin?«
»Nein … Das heißt, vielmehr …«
»Vielmehr was?«
Die Gynäkologin lächelte, doch ihr Tonfall verriet ihreUngeduld.
    Ihr Gesicht war braun und rund und runzelig wie ein Buchweizenpfannkuchen und verströmte dieselbe Süße, denselben vertrauten Duft. Das Vertrauenerweckende ihrer Erscheinung hob auch das kurz geschnittene, schlohweiße Haar hervor, das einen starken Kontrast zu ihrer dunklen Haut bildete.
    Zu dem Eindruck von Herzlichkeit und Entgegenkommen passte auch ihr Sprechzimmer: Hier atmete man die Gemütlichkeit alter Möbel und glasierter Porzellanfiguren, die vom Alter

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