sehr Wichtiges: Antwortest du mir heute mit »ja«, so gibt es kein Zurück mehr. Dann wirst du durch ein unaussprechliches Geheimnis an mich gekettet sein, für immer.
Noch ein Letztes, Wesentliches: Wenn ich von Handlungen spreche, die dich angehen, werde ich niemals »ich« sagen. Vielleicht bin ich der Urheber dieser Handlungen, vielleicht ist es aber auch jemand anderes, einer, den ich gut kenne, einer, der in meiner Nähe ist oder in Freiheit. Ich bin der Einzige, der die Antwort weiß, und vorläufig bin ich nicht bereit, sie mit dir zu teilen.
Begnüge dich damit, »Seinem« Rat zu folgen.
Bist du gewillt, diese Erfahrung zu machen, Elisabeth? Fühlst du dich stark genug, diese Herausforderung anzunehmen? Den Weg zur Quelle der Finsternis zu gehen?
Schreib mir bald, auf demselben Weg. Danach werden wir in anderer Form kommunizieren. Teile mir eine Mailadresse mit. Es ist mir gelungen, hier ein System einzurichten, mit dem ich dir auf elektronischem Weg inkognito schreiben kann. Bald werde ich nicht mehr den Abdruck deiner Hand auf dem Papier spüren. Und nicht mehr dein schönes Gesicht vor mir sehen, wie es sich, während du mir schreibst, über den Tisch beugt. Stattdessen werde ich mir ausmalen, wie du in Südostasien unterwegs bist.
In einem früheren Brief hast du mir anvertraut: »Der Abgründe sind viele, in uns Menschen ebenso wie auf dem Grund der Meere. Und alle interessieren mich.« Es ist an der Zeit, mir den Beweis dafür zu liefern.
Ich küsse dich, meine Lise.
JacquesMark starrte blind auf das Papier: Er weinte.
Vor Freude. Vor Erschütterung. Und vor Angst.
So lange hatte er auf diesen neuen Brief gewartet. Inzwischenwar der 6. Mai. Seit Mitte April hatte er das Postamt belagert. Das ewige Warten hatte ihn fast verrückt gemacht – er arbeitete nicht, rasierte sich nicht, schlief kaum noch.
Doch das Ergebnis entschädigte ihn für alles Leiden.
Ein Serienmörder, der bereit war, ihm Einblick in seine Seele zu gewähren. Endlich!
Und was noch besser war: Er würde ihm vorangehen, ihn auf seine Spur führen.
Noch mit seinen weißen Handschuhen legte Mark ein Blatt Papier vor sich auf den Tisch und warf in einem Zug eine enthusiastische Antwort hin, in der er nur eine Lücke für die Mailadresse ließ. Er las den fertigen Text und entdeckte nichts, das einer Änderung bedurfte. Es war ein Liebesbrief geworden, voll der leidenschaftlichen, rückhaltlosen Hingabe einer jungen Frau, die gewillt war, ihrem Mentor bis ans Ende der Welt zu folgen.
Mit einem Mal wurde ihm bewusst, dass er seinen Brief direkt in Elisabeths Handschrift verfasst hatte. Alles ein Symbol … Er hob den Kopf und starrte auf die Wand gegenüber. Dort hatte er sämtliche Porträts des Tauchers aufgehängt, die er besaß – eine Methode, sich seinem Gegner und Komplizen zu nähern. Jetzt blickte eine Schar von Reverdis auf ihn herab. Triumphierend im Taucheranzug. Lächelnd in der Tropensonne. Mürrisch in Großaufnahme, das Kinn von einer anthropometrischen Leiste verdeckt … »In Südostasien, zwischen dem Wendekreis des Krebses und dem Äquator, verläuft noch eine dritte Linie.
Eine schwarze Linie, gesäumt von Leichen und von Grauen.«
Mark lächelte mit brennenden Augen:
»Wie viele hast du umgebracht, du Schwein?«
KAPITEL 29
Als Allererstes brauchte er eine Mailadresse.
Mark suchte das nächstbeste Internetcafé auf, in der Nähe der Avenue Trudaine. Auf dem eigenen Computer eine Mailbox auf Elisabeths Namen einzurichten kam nicht infrage. Er verstand nichts von der Technik, war sich aber sicher, dass die Aktivierung einer Mailadresse Spuren hinterließ.
Als er vor dem anonymen PC saß, suchte er sich einen französischen Server und füllte das erforderliche Anmeldeformular aus, um eine kostenlose Mailbox einzurichten – auch Zahlungen ließen sich zurückverfolgen.
Alle seine Angaben waren falsch; sie bezogen sich ausschließlich auf Elisabeth Bremen, eine vierundzwanzigjährige Pariserin, die nicht existierte. Der Glaubwürdigkeit halber erfand er eine Anschrift im 9. Arrondissement, ein Geburtsdatum, ein Passwort und gab schließlich den Mailnamen ein: »
[email protected]« lautete jetzt seine Adresse.
Das war sein Ticket für die Reise in die Finsternis. Anschließend eilte er samt seinem Brief zur DHL-Annahme im Bahnhof von Bercy – auf keinen Fall wollte er die Sendung bei sich zu Hause abholen lassen. Zu Mittag war dieses ersteProblem gelöst. Gut gelaunt machte er sich wieder auf den Weg. Im Moment