Das schwarze Blut
Klobürste im Mund ihnen galt, ihnen ganz persönlich. Warum dann der Selbstmord? Die einzige Erklärung, die Mark hatte finden können – und das war eben typisch für d’Amico –, war, dass es eben keine gab. Auch dies war eine völlig absurde, willkürliche Tat. In der seine Selbstinszenierung ihren letzten Un-Sinn fand.
Die Autopsie kam zu dem Ergebnis, dass d’Amico, auf der Klobrille sitzend, infolge des Blutverlusts ohnmächtig geworden und abgerutscht war und sich an der Kante der Toilettenschüssel den Hals gebrochen hatte, was die Blutung zum Stillstand brachte. Es war also gar nicht so viel Blut geflossen wie in Marks wiederkehrendem Albtraum. Genau genommen hatte er keine reale Erinnerung, denn er hatte beim Anblick seines toten Freunds das Bewusstsein verloren. Das erste Koma: Eine Woche später war er mit vollkommen leerem Kopf wieder erwacht. Ihm fehlte jede Erinnerung, sowohl an die Entdeckung der Leiche als auch an die Stunden zuvor. Diese rückwirkende Amnesie beunruhigte ihn zutiefst: Er war sicher, dass er vor dem Unterricht noch mit d’Amico gesprochen hatte. Worüber? Hätte Mark den Selbstmord vorhersehen können – und hätte er ihn verhindern können? Noch schlimmer: Hatte er womöglich ein falsches Wort gesagt, das den letzten Ausschlag zu der unseligen Tat gab?
In der Kabine gingen die Leuchtsignale an.
Die Maschine setzte zur Landung an.
Mark legte den Sicherheitsgurt an und verspürte eine neue Entschlossenheit: Das Ziel seiner Mission stand ihm wieder deutlich vor Augen. Er näherte sich dem Mörder. Er näherte sich der Wahrheit des Todes. Er hatte die dumpfe Hoffnung, dass ihn diese Reise auch von seinen privaten Gespenstern erlösen würde.
KAPITEL 33
KLIA, Kuala Lumpur International Airport.
Eine Anlage wie ein riesiges Einkaufszentrum auf mehreren Etagen mit einer Temperatur von maximal fünfzehn Grad. Wer in einem südostasiatischen Land aus dem Flugzeug steigt, ist auf erdrückende Hitze gefasst und entsprechend geschockt, wenn er sich in polarer Kälte wiederfindet – das entgegengesetzte Extrem der feuchten Bruthitze, die draußen über dem Land liegt.
Mark holte sein Gepäck und suchte sich zu orientieren; schließlich entdeckte er eine interne Bahn, die ihn in einen anderen Teil des Flughafens beförderte, von wo aus er nach einem längeren Fußmarsch endlich in die schwüle tropische Hitze hinaustrat.
Im Taxi erwartete ihn abermals sibirische Kälte. Er nahm im Fond des Wagens Platz und erkannte sein Malaysia wieder: Zwei Mal war er hier gewesen, das erste Mal wegen einer Reportageserie über die Sultansfamilien, die reihum das Land regierten, das zweite Mal im Jahr 1997, als hier der Film Entrapment gedreht wurde, mit Sean Connery und Catherine Zeta-Jones – die Geschichte eines bewaffneten Überfalls in den obersten Etagen der Petronas-Türme, der höchsten Wolkenkratzer nicht nur von Kuala Lumpur, sondern der Welt; damals hatte er über die Dreharbeiten berichtet.
Prachtvoll erhob sich die Stadt vor dem dominierenden Grün am Horizont. Auf einem von bewaldeten Hügeln gesäumten Hochplateau ragten ihre gläsernen Türme wie riesige Schachfiguren auf. Flammen aus Schiefer, Messerklingen aus Eis, durchscheinende Pfeile blitzten in der Ferne im Sonnenlicht und erinnerten an Parfumflakons oder Rasierwasserfläschchen.
War man dann in der Innenstadt, staunte man über die breiten, baumbestandenen, stets luftigen Prachtstraßen, die so ganz anders waren als die überhitzten, in Menschengewimmel, Elend und Schmutz erstickenden Megastädte Asiens. Kuala Lumpur war ein einziges, riesiges Suburbia, dem man den Wohlstand anmerkte: Es trug denselben künstlichen Firnis zur Schau, wie man ihn von den amerikanischen Wohngebieten am Rand der großen Städte kennt, wo alles neu, sauber und wohlgeordnet ist – und alles hohl und unecht wirkt. Nur die Moscheen mit den bunten Kuppeln und die alten englischen Kolonialgebäude bildeten inmitten dieser Kulisse einen Rest an Realität und erinnerten daran, dass es hier schon vor dem Boom und dem Fieber der Moderne ein Leben gegeben hatte.
Mark nannte dem Fahrer die Namen der großen Straßen der Innenstadt: Jalan Bukit Bintang, Jalan Raja Chulan, Jalan Pudu, Jalan Hang Tuah … Dort waren die riesigen Einkaufszentren, die Luxushotels, aber auch, in den Seitenstraßen, die kleinen guest houses mit zivilen Preisen. In einer Sackgasse fand er zwischen zwei Massagesalons ein Hotel, das nach seinem Geschmack war.
Kaum hatte er sein
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