Das schwarze Blut
eines Tisches. Seine Stimme war schleppend, als stünde er unter dem Einfluss starker Medikamente. Ein für die Kamera unsichtbarer Psychiater stellte ihm Fragen auf Englisch.
»Wissen Sie, welches Verbrechen man Ihnen zur Last legt?«Keine Antwort. Reverdi schien nicht zuzuhören: Aschfahl, mit eingefallenen Zügen saß er da; seine Haut hob sich trotz ihrer Bräune kaum von dem steingrauen geschorenen Schädel ab.
Kerzengerade, wie verkrampft saß er da. Stumpfsinnig und zugleich aufs Äußerste angespannt.
»Welches Verbrechen, Jacques?«Mark beugte sich zum Bildschirm, um Reverdis Augen besser zu erkennen, doch die Kamera hing zu weit oben. Die ziemlich mäßige Bildqualität machte es nicht besser: Alles, was er sah – oder zu sehen meinte –, waren die erweiterten, auf einen imaginären Punkt gerichteten Pupillen.
»Sie werden des Mordes an Pernille Mosensen beschuldigt.« Reverdi reckte den Hals, als juckte ihn der Kragen. Er ließ sichZeit, bevor er – auf Englisch – antwortete:
»Das war ich nicht.«
»Sie wurden am Tatort, neben dem Opfer angetroffen.« Schweigen.
»Die Frau hatte siebenundzwanzig Messerstiche.«
Die Stimme des Psychiaters war weder tief noch hoch – undverstärkte das Unbehagen. Reverdi schien zu schlucken. Vielleicht war es ein unterdrücktes Schluchzen.
Mark hatte damit gerechnet, ein Ungeheuer zu erleben. Eine Maske des Grauens. Er sah nur einen Wahnsinnigen. Groß. Schön. Und tragisch.
Die Stimme, die sich nicht zwischen männlichem und weiblichem Timbre entscheiden zu können schien, fuhr fort: »Es war Ihr Messer, Jacques.«Schweigen.
»Sie waren über und über mit dem Blut der Frau bespritzt.« Schweigen, dann:
»Das war ich nicht.«
Mark blinzelte mehrmals, um den Bann zu brechen, unter demer stand. Er sah sich die Umgebung an, in der das Gespräch stattfand: ein sonniges, kahles Zimmer, das ebenso gut eine Gefängniszelle wie ein Büro sein konnte, irgendwo in den Tropen.
Nur der Leuchtschirm rechts an der Wand, der zur Begutachtung von Röntgenbildern diente, erinnerte daran, dass es ein Krankenhaus war.
Der Arzt widersprach:
»Es waren aber Ihre Fingerabdrücke auf dem Messer.« Reverdi ruckte auf dem Stuhl hin und her. Seine gefesseltenHandgelenke zuckten. An den Handrücken traten die Adern hervor.
»Nicht ich«, murmelte er. »Jemand anderes.«
»Wer?«
Keine Antwort.
»Wer hätte sonst diesen Mord begehen können?«
Reverdi starrte unverändert mit glasigem Blick vor sich hin, doch in seinen Körper kam Leben – als juckte es ihn jetzt überall. Am Bildrand tauchten kurz zwei Pfleger auf. Zwei Kolosse, bereit, herbeizuspringen – die Spannung stieg.
Mit teigiger Stimme wiederholte Reverdi:
»… anderes … Jemand anderes.«
»Jemand anderes … in Ihrem Kopf?«
»Nein. In der Kammer.«
»In der Kammer? Sie meinen: in der Hütte?«
Der Arzt sprach lauter. Und mit einem Mal begriff Mark, weshalb ihm diese Stimme ein derartiges Unbehagen verursachte: Es war die Stimme einer Frau.
»Die Hütte war von innen abgesperrt, Jacques. Es war niemand bei Ihnen.«
»Die Reinheit. Es ist die Reinheit.«
»Welche Reinheit? Wovon reden Sie?«
Seine Unterarme fuhren jäh in die Höhe. Die Fesseln knarzten. Die Adern an seinen Handrücken schienen nahe daran, die Haut zu sprengen.
»Jacques?«
Die Psychiaterin sprach noch lauter – ihre Stimme bebte:
»Wer, Jacques? Wer war bei Ihnen?«
Keine Antwort. Knarzen der Gurte.
»Als Sie gefunden wurden, waren Sie allein.«
Kein Kommentar.
»Warum haben Sie das getan, Jacques?«
»Versteck dich.«
Der Befehl, auf Französisch, war ganz leise, ein kaum vernehmliches Flüstern.
»Was?«, fragte die Psychiaterin, auf Englisch. »Was haben Sie gesagt?«
Reverdi reckte den Hals. Auch an seinem Hals traten jetzt die Adern hervor wie bloßgelegte Wurzeln. Sein Mund öffnete sich. Eine Kinderstimme platzte heraus, panisch:
»Versteck dich! Schnell, versteck dich!«
»Jacques, wovon reden Sie? Wer soll sich verstecken?«
Die Psychiaterin hatte den französischen Satz verstanden. Reverdi reckte sich noch mehr. Er hob das Kinn und starrte die Psychiaterin an, allerdings wie ein Betrunkener, der nichts mehr wahrnimmt.
»Versteck dich, schnell, Papa kommt!«
Die Ärztin beugte sich vor. Ihr Arm erschien im Bild: Sie machte sich Notizen auf einem Block. Sie war verschleiert. Mit der anderen Hand bedeutete sie den Pflegern, sich bereitzuhalten, um Reverdi notfalls eine Injektion zu geben.
Sie fuhr auf Französisch fort, mit starkem
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