Das schwarze Blut
denke immer daran, dass es nur einen Weg gibt, die Ewigkeit zu betrachten: sie ein paar Augenblicke lang festzuhalten.
Mein Herz ist bei dir.
Jacques Einen Kaffee.
Einen gottverdammten Kaffee, auf der Stelle.
Als er die Treppe hinunterging, musste er sich an den Wänden abstützen. Die Wegmarken der Ewigkeit. Die schwirren und schwärmen. Reverdi wurde ihm mehr und mehr zum Rätsel. Und er ahnte, dass diese unergründliche Sprache immer nebulöser würde. Je weiter der Mörder die Türen zu seiner Welt öffnete, desto esoterischer – und unverständlicher – würden die Begriffe dafür werden.
Inzwischen waren die Nescafé-Tüten wieder aufgefüllt worden. Er mischte sich ein bräunliches Gebräu zusammen und fragte sich, nachdem er es gekostet hatte, ob der fade Tee nicht doch die bessere Lösung war. Während er mit einem Plastikstäbchen den Kaffee umrührte, gingen ihm Reverdis Worte im Kopf herum. » Suche am Himmel. «» Schwing dich auf in die Lüfte. « Vielleicht hatten die Worte hinter dem metaphorischen Beiklang ja eine ganz konkrete Bedeutung.
Er eilte die Treppe hinauf, zurück in sein Zimmer. Dort breitete er die Landkarte von Malaysia aus und sah sich die Höhenverhältnisse an. In diesem Land auf Meereshöhe waren die Gipfel nicht gerade zahlreich. Er fand die Cameron Highlands, einen etwa zweihundert Kilometer langen Höhenzug nördlich von Kuala Lumpur, der es immerhin auf über fünfzehnhundert Meter brachte. Der Name sagte ihm etwas. Irgendwo hatte er von einem Höhenkurort mit Luxushotels und Golfplätzen gehört. Mark blätterte in seinem Reiseführer und fand seine Erinnerung bestätigt.
Wies ihn Reverdi in diese Richtung? Was aber hatte ein Tauchlehrer im Gebirge zu schaffen? Mark kam eine Idee, wie er seine Vermutung überprüfen konnte: Vielleicht hatte dort oben ein Mord stattgefunden, oder es war jemand verschwunden?
Er rief im Archiv der News Straits Times an. Es meldete sich eine sehr entgegenkommende Frauenstimme. Mark hatte zuerst nur nach den Öffnungszeiten und den Modalitäten einer Archivrecherche fragen wollen, beschloss nun jedoch, sein Glück gleich telefonisch zu versuchen. Er stellte sich vor und fasste sein Anliegen zusammen, ohne irgendeine Verbindung mit Reverdi anzudeuten: Hatte irgendwann in den letzten Jahren in den Cameron Highlands ein Mord stattgefunden? Oder war vielleicht jemand verschwunden?
Aus dem Gedächtnis heraus konnte die Archivarin nichts sagen. Sie bat ihn, am Apparat zu bleiben. Er hörte das gedämpfte Klappern einer Tastatur, dann nahm sie wieder den Hörer auf: Nein, nichts. Keine Spur eines Mordes oder sonstigen ungewöhnlichen Ereignisses in den Cameron Highlands, jedenfalls nicht in den letzten acht Jahren. Falls er weiter zurückliegende Fälle suche, müsse er persönlich erscheinen …Nach ein paar Höflichkeitsfloskeln legte Mark auf. Unerklärlicherweise hatte das Gespräch seine Überzeugung gefestigt: Reverdi hatte dort oben in den Bergen gejagt. Er hatte die Spuren seiner mysteriösen »Wegmarken« hinterlassen. In der Höhe. Mark beschloss, am nächsten Tag aufzubrechen.
In dem Moment rief ihm sein knurrender Magen in Erinnerung, dass er seit bald zwei Tagen so gut wie nichts gegessen hatte. Das war keine Zerstreutheit mehr, das grenzte bereits an Hungerstreik. Er steckte den Zimmerschlüssel ein und zog die Tür hinter sich zu.
Die Begegnung mit dem Tageslicht war wie ein klingender Beckenschlag direkt neben seinen Ohren, und dazu traf ihn die Hitze mit voller Wucht: Mark fühlte sich förmlich zerfließen – es dauerte nicht lange, und seine Fingerspitzen waren verschrumpelt, als hätte er zu lang im Wasser gelegen. Er war, vollständig angekleidet, in einer Sauna.
In der Straße, in der sein Hotel stand, quollen die Terrassen der Restaurants über den Gehsteig bis auf die Fahrbahn hinaus – die Autofahrer, die sich in Schrittgeschwindigkeit vorwärts bewegten, mussten den Tischen ausweichen.
Mark bestellte fried rice, den Klassiker der chinesischen Küche. Er schwärmte für diese Reisgerichte, die voller Überraschungen stecken – Garnelen, Gemüse, Mandeln, Zwiebeln, Stückchen von gebratenem Ei … – zubereitet, gemischt und verzehrt in einer einzigen goldenen Welle.
Cameron Highlands.
Bei jedem Bissen wiederholte er im Geist die Silben. Er war sicher, dass ihn dort ein Hinweis erwartete.
KAPITEL 38
Jalan Ruching.
Die Straße der Katzen.
Nach seinem Plan war das der Weg, den er stadtauswärtsnehmen musste. Früh am
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