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Das schwarze Blut

Titel: Das schwarze Blut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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Vene angelegt und sie eingeschnitten, sodass der Blutfluss unterbrochen war. Genau so, wie es bei uns die Plantagenarbeiter machen, wenn sie die Rinde des Kautschukbaums anschneiden, um Latex zu gewinnen. Dieser Hurensohn hat sich alle Zeit der Welt gelassen, sag ich dir. Er wollte zuschauen, wie sie ausfließt, sich entleert. Die Leute, die ihre Leiche aus dieser Hütte herausgeholt haben, mussten Stiefel anziehen, um überhaupt bis zu ihr hinzukommen.«
Mark nahm sich das nächste Bild vor: die Nahaufnahme eines schwärzlichen, an den Rändern leicht verkrusteten Einschnitts.
»Braucht es medizinische Kenntnisse, um so ein … Muster herzustellen?«
»Würd ich schon sagen, ja. Das ist eine echte Anatomiearbeit. Ich weiß nicht, woher er sein Wissen hat …«
»Er war Tauchlehrer. Und Sanitäter.«
»Das wäre eine Erklärung. Der Verlauf der Adern ist schließlich das Erste, was man als Sanitäter lernt. Wegen der Infusionen, der Spritzen.«
Mark sah sich die Aufnahme der Wunde genauer an. Was er für eine Verkrustung gehalten hatte, war gar keine.
»Diese schwarzen Spuren rund um den Schnitt«, sagte er, »was ist das? Es sieht irgendwie verbrannt aus …«
»Genau. Reverdi hat die Wunden angesengt oder einfach erhitzt.«
»Wieso das denn?«
»Immer aus demselben Grund: Um die Blutgerinnung zu verhindern. Wie eine Wärmeplatte, die zerlassenes Fett flüssig hält. Der Kerl steht auf fließendes Blut, so viel ist sicher.«
Die Bemerkung erinnerte Mark an etwas anderes:
»Hat man Spermaspuren in der Hütte gefunden?«
»Nichts. Abgespritzt hat der Kamerad nicht.«
Das war eine von Reverdis Besonderheiten. Normalerweise steht für den Serienmörder der Tod an der Stelle der Liebe, Mord ist für ihn ein Ersatz für den Geschlechtsakt. Meist erlebt er am Tatort vor, während oder nach dem Mord einen Orgasmus. Doch Reverdi schien sich unter Kontrolle zu haben. Sofern es ihm nicht überhaupt um etwas ganz anderes ging.
»Das eigentliche Rätsel«, fügte Alang hinzu, »ist die Zahl der Schnitte. Mehr als die Hälfte war im Grunde überflüssig.«
»Was heißt das?«
»Stell’s dir doch vor.« Alang breitete die Hände aus, wie einer, der einen Theatervorhang auseinander schiebt. »Zuerst schneidet er an den Schläfen, dann an der Kehle. Das Opfer ist doch schon längst ausgeblutet, bevor er auch nur an den Hüften angelangt ist. Schon bei den ersten Wunden war der Blutverlust tödlich. Wozu also weiterschneiden?«
Mark nahm sich noch einmal die erste Aufnahme vor und betrachtete den Verlauf der Wunden, der vollkommen symmetrisch war, bis hinab zu den Fingerspitzen.
»Vielleicht aus ästhetischen Gründen«, schlug er vor. »Vielleicht wollte er sämtliche Gliedmaßen, sämtliche Teile des Körpers auf dieselbe Weise aufschlitzen.«
»Kann sein. Aber die anderen Wunden bluteten immer noch. Das alles musste zwangsläufig in einem scheußlichen Gemetzel enden. Ich verstehe nicht, wie er sich überhaupt noch zurechtfinden konnte.«
Mark hatte einen Geistesblitz: »Vielleicht hat er die Adern abgebunden?«
»Das haben wir zuerst auch vermutet. Aber das hätte wiederum Spuren hinterlassen. Hämatome. Nein, es ist wirklich ein Rätsel.«
Mark bemühte sich, seine Gedanken zu sammeln. Je mehr er erfuhr, desto mehr erschien ihm Jacques Reverdi als komplexer, besonnener Mörder. Ein Mann, der ein geheimes Ziel verfolgte.
»Gibt es einen offiziellen Bericht?«
»Selbstverständlich. Liegt alles beim Gericht von Johor Baharu.«
»Mir ist das alles völlig neu.«
Alang lächelte. »Das glaub ich gern. Zum Glück erfahren die Presseleute nicht alles. Vor allem nicht die ausländischen. Da gibt es noch manches, was du nicht weißt.«
Wie zuvor in seinem Sessel lümmelnd, schlug der Mediziner eine Akte auf und zog lässig mehrere zusammengeheftete Blätter heraus.
»Das Ergebnis der toxikologischen Analyse. Das Blut von Pernille Mosensen war süß.«
»Wie bitte?«
Alang richtete sich auf. Er blätterte flink und deutete dann auf eine grün markierte Passage:
»Der Blutzuckerspiegel beträgt normalerweise rund ein Gramm. Hier sind es eins Komma dreißig Gramm.«
»War sie krank?«
»Wir haben auch zuerst an Diabetes gedacht. Aber unsere Erkundigungen haben ergeben, dass sie kerngesund war. Nein, der hohe Blutzucker hat irgendwas mit dem Mord zu tun.«
Mark spürte, wie sich seine Muskeln anspannten.
»Inwiefern?«
»Wir denken, dass er sie kurz vor dem Abschlachten mit Süßigkeiten gefüttert hat. Die Untersuchung hat außerdem

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