Das schwarze Haus - King, S: Schwarze Haus
sich augenblicklich – und damit auch sein Tagtraum von der Zuerkennung des Pulitzer-Preises. Seine Magennerven verkrampfen sich, und aus allen Poren seines breiten, geröteten Gesichts treten Schweißperlen. Seine linke Hand zittert am Lenkrad, seine rechte schüttelt das Diktiergerät wie Kastagnetten. Wendell nimmt den Fuß vom Gaspedal, rutscht tiefer in den Fahrersitz und dreht den Kopf möglichst weit nach rechts. Er kämpft gegen den fast übermächtigen Drang an, sich im Fußraum unter dem Lenkrad in fötaler Haltung zusammenzurollen. Das Röhren schwerer Motoren hinter ihm wird lauter. Das Herz hämmert ihm gegen die Rippen. Wendell stößt einen wimmernden Klagelaut aus. Eine Kette von Kesselpauken lässt die Luft jenseits der dünnen Blechhaut der Fahrertür erzittern.
Dann donnern die Motorräder an ihm vorbei und rasen den Highway entlang weiter. Wendell Green wischt sich das Gesicht ab. Langsam kann er seinen Körper wieder dazu überreden, sich aufzusetzen. Sein Herz versucht allmählich nicht mehr, aus seinem Brustkorb zu entkommen. Die Welt vor der Windschutzscheibe, die auf die Größe einer Stubenfliege zusammengeschrumpft
war, nimmt wieder normale Größe an. Wendell sagt sich, eigentlich habe er nicht mehr Angst gehabt, als jeder normale Mensch unter diesen Umständen verspürt hätte. Selbstachtung bläst ihn auf wie Helium einen Ballon. Die meisten Kerle wären geradewegs in den Straßengraben gefahren, denkt er; die meisten Kerle hätten sich in die Hose gemacht. Aber wie hat nun Wendell Green reagiert? Er hat etwas weniger Gas gegeben, das war alles. Er hat sich wie ein Gentleman benommen und die Arschlöcher von der Thunder Five vorbeigelassen. Was Beezer und seine Gorillas betrifft, ist aus Wendells Sicht Höflichkeit der bessere Teil der Tapferkeit. Er fährt wieder etwas schneller und beobachtet, wie die Biker vorausrasen.
Das Diktiergerät läuft noch. Wendell hebt es an den Mund, fährt sich mit der Zungenspitze über die Lippen und entdeckt, dass er vergessen hat, was er sagen wollte. Unbesprochenes Magnetband surrt von Spule zu Spule. »Verdammt«, sagt er und drückt die STOPP-Taste. Ein inspirierter Satz, eine melodische Kadenz ist im Äther verschwunden, vielleicht für immer. Aber die ganze Situation ist noch weit frustrierender. Wendell hat das Gefühl, mit dem verloren gegangenen Satz sei eine ganze Serie logischer Gedankenverbindungen verschwunden: Er kann sich erinnern, die großen Umrisse von mindestens einem halben Dutzend scharfsinniger Artikel gesehen zu haben, die weit über den Fisherman hinausgegangen wären und … was getan hätten? Ihm den Pulitzer-Preis eingebracht hätten, klar, aber wie? In einem bestimmten Bereich seines Verstands, in dem die großen Umrisse entstanden sind, ist weiterhin die äußere Form gespeichert, aber diese Form ist jetzt leer. Beezer St. Pierre und seine Gorillas haben etwas ermordet, was Wen dell Green jetzt wie die großartigste Idee erscheint, die er jemals gehabt hat, aber Wendell ist sich nicht sicher, ob es ihm gelingen wird, sie ins Leben zurückzurufen.
Wozu sind diese Biker-Freaks überhaupt hier draußen unterwegs?
Die Frage beantwortet sich von selbst: Irgendein dämlicher Gutmensch hat es wohl für notwendig gehalten, Beezer von dem Anruf des Fishermans zu informieren, und jetzt sind die
Biker-Freaks zu den Überresten des Ed’s unterwegs – genau wie Wendell. Zum Glück haben so viele Leute dasselbe Ziel, dass er sich gute Chancen ausrechnet, seiner gerechten Strafe entgehen zu können. Um nichts zu riskieren, lässt er ein paar Wagen zwischen sich und den Bikern.
Der Verkehr wird dichter und gerät ins Stocken; weiter vorn bilden die Biker eine Kolonne und fahren links an der Autoschlange vorbei, die zur Abzweigung der staubigen alten Zufahrt zu Ed’s Eats kriecht. Aus siebzig, achtzig Metern Entfernung kann Wendell beobachten, wie zwei Cops, ein Mann und eine Frau, sich bemühen, die Gaffer zum Weiterfahren zu bewegen. Bei jedem Fahrzeug, das vor ihnen hält, müssen sie dieselbe Pantomime aufführen, die Insassen abweisen und die Straße entlangzeigen. Um keine Zweifel aufkommen zu lassen, ist ihr Streifenwagen quer geparkt, sodass er die Einfahrt blockiert und alle abhält, die auf die Idee kommen könnten, ihre Anweisungen zu missachten. Dieser Anblick stört Wendell nicht weiter, weil Pressevertreter ja automatisch Zugang zu allen Tatorten haben. Journalisten sind das Medium, die Öffnung, durch die sonst
Weitere Kostenlose Bücher