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Das schwarze Haus - King, S: Schwarze Haus

Titel: Das schwarze Haus - King, S: Schwarze Haus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Stephen;Straub King
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Nelson verlaufen hat, warum hat er dann nicht mit Andy gesprochen? Warum hat er sich versteckt? Weil er vielleicht alt, aber keineswegs verwirrt ist, darum. Nicht verwirrter als Andy selbst. Der Türknaufrüttler ist ein gottverdammter Dieb, und er ist im Kleiderschrank. Vielleicht hält er ein Messer in der Hand, das er aus einer Tasche seines zerschlissenen alten Bademantels gezogen hat. Oder vielleicht einen Drahtkleiderbügel, den er auseinander gedreht und zu einer Waffe gemacht hat. Vielleicht steht er nur mit weit aufgerissenen Augen und zu Krallen verkrümmten Fingern im Dunkeln. Andy ist das egal. Man kann ihn ängstigen, klar – er ist ein in Rente lebender Verkäufer, nicht Superman -, aber reichert man die Angst mit genügend nervöser Spannung an, verwandelt man sie in Zorn, genau wie ausreichend hoher Druck Kohle in Diamant verwandelt. Und in diesem Augenblick ist Andy mehr zornig als ängstlich. Er schließt die Finger um den kühlen Glasknauf der Kleiderschranktür. Er umklammert ihn. Er atmet tief durch … noch einmal … nimmt seinen ganzen Mut zusammen, macht sich bereit … groovt sich ein, würden seine Enkel sagen … holt nochmals tief Luft, weil aller guten Dinge drei sind, und …

    Mit einem leisen, stressreichen Laut – halb Knurren, halb Heulen – reißt Andy die Kleiderschranktür so heftig auf, dass die Drahtbügel klirren. Er duckt sich, reißt die zu Fäusten geballten Hände hoch und sieht auf diese Weise wie ein uralter Sparringspartner aus einem Fitness-Studio aus, über das auch schon die Zeit hinweggegangen ist.
    »Komm dort raus, du Scheiß…«
    Im Schrank ist niemand. Vier Hemden, ein Sakko, zwei Krawatten und drei Hosen, die wie abgestreifte Häute an Bügeln hängen. Ein verkratzter alter Koffer, der aussieht, als wäre er auf jedem einzelnen Greyhound-Busbahnhof in Nordamerika rumgekickt worden. Sonst nichts. Kein einziges verdammtes …
    Aber da liegt doch etwas! Unter der Schmutzwäsche auf dem Boden liegt etwas. Mehrere Dinge. Eine ganze Hand voll Dinge. Im ersten Augenblick begreift Andy Railsback nicht, was er da sieht beziehungsweise will es nicht begreifen. Dann dringt es in sein Bewusstsein vor, prägt sich seinem Verstand und seinem Gedächtnis wie ein Hufabdruck ein, und er will schreien. Er kann aber nicht. Er versucht es nochmals, aber seine Lungenflügel, die nur noch die Größe verschrumpelter Pflaumen zu haben scheinen, bringen nur ein heiseres Keuchen hervor. Er will sich umdrehen, aber auch das kann er nicht. Er glaubt zu spüren, dass George Potter naht, und wenn Potter ihn hier antrifft, ist’s mit Andys Leben vorbei. Er hat etwas gesehen, über das George Potter ihn niemals wird reden lassen. Aber er kann sich nicht umdrehen. Kann nicht schreien. Kann seinen Blick nicht von dem Geheimnis in George Potters Kleiderschrank wenden.
    Kann sich nicht bewegen.
     
    Wegen des Nebels ist die Dunkelheit in French Landing unnatürlich früh angebrochen; es ist kaum 18.30 Uhr. Die verschwommenen gelblichen Lichter der Seniorenresidenz Maxton sehen wie die Lichter eines bei Flaute auf See treibenden Kreuzfahrtschiffs aus. Die Zuständigen für den Flügel Daisy – Heim der wundervollen Alice Weathers und des weit weniger wundervollen Charles Burnside -, also Pete Wexler und Butch
Yerxa, sind für heute bereits nach Hause gefahren. Am Schreibtisch sitzt jetzt eine breitschultrige, wasserstoffblonde Altenpflegerin namens Vera Hutchinson. Vor ihr liegt ein Kreuzworträtselheft. Gegenwärtig rätselt sie über sechs waagrecht nach: zum Beispiel Garfield. Neun Buchstaben, der erste ist H, der vierte S, der fünfte K, der achte Z und der neunte E. Sie hasst solche verzwickten Lösungswörter.
    Jetzt ein Rauschen, weil eine Toilettentür geöffnet wird. Vera blickt auf und sieht Charles Burnside in seinem blauen Bademantel und mit einem Paar schwarz-gelb gestreifter Filzpantoffeln, die wie große pelzige Hummeln aussehen, aus der Herrentoilette geschlurft kommen. Die Pantoffeln machen sie sofort stutzig.
    »Charlie?«, sagt sie, legt den Bleistift in ihr Kreuzworträtselheft und klappt es zu.
    Charlie schlurft einfach weiter – mit herabhängendem Kinn, an dem auch ein langer Sabberfaden baumelt. Auf seinem Gesicht steht ein unangenehmes halbes Grinsen, das Vera nicht gefällt. Der Alte hat vielleicht nicht mehr alle Tassen im Schrank, aber sein bisschen Restverstand wirkt ausgesprochen bösartig . Manchmal merkt sie, dass Charlie Burnside sie wirklich nicht hört

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