Das schwarze Haus - King, S: Schwarze Haus
jetzt hinter ihm. Seine goldenen Jahre sind angebrochen.
Ein Kandidat fürs Maxton, könnte man glauben, aber Andy Railsback kennt diesen Laden und ähnliche Heime. Nichts für ihn, nein danke. Er ist durchaus gesellig, aber er will sich nicht von anderen Leuten sagen lassen, wann er ins Bett gehen soll, wann er aufstehen muss und wann er einen kleinen Schluck Tee nehmen darf. Er hat Freunde im Maxton, die er oft besucht, und ist dabei gelegentlich dem glitzernden, oberflächlichen, räuberischen Blick unseres Kumpels Chipper begegnet. Bei mehr als einer dieser Gelegenheiten hat er sich gesagt, dass Mr. Maxton wie jemand aussieht, der die Leichen seiner Heiminsassen mit Vergnügen zu Seife verarbeiten würde, wenn er glaubte, damit ein paar Dollar verdienen zu können.
Nein, für Andy Railsback ist der zweite Stock des Hotels Nelson gut genug. Er hat seine Kochplatte; er hat seine Flasche Fusel; er hat vier Spiele Binokel und legt in Nächten, in denen der Sandmann ihn vergisst, Patiencen mit Großbildkarten.
Heute Abend hat er drei Päckchen Fertigsuppe in den Topf gekippt, weil er Irving Throneberry zu einem Schwätzchen einladen will. Vielleicht gehen sie anschließend zu Lucky’s hinüber und genehmigen sich dort ein Bier. Er sieht nach der Suppe, stellt fest, dass sie genau richtig köchelt, schnuppert den duftenden Dampf und nickt. Er hat auch eine Packung Kräcker, die gut zur Suppe passen. Er verlässt sein Zimmer, um nach oben zu gehen und an Irvs Tür zu klopfen, aber was er auf dem Flur sieht, lässt ihn wie angenagelt stehen bleiben.
Dort geht ein alter Mann, der einen formlosen blauen Bademantel trägt, verdächtig schnell vor ihm her. Unter dem
Saum des Bademantels sind die Beine des Unbekannten weiß wie ein Karpfenbauch und mit einem bläulichen Geflecht aus Krampfadern überzogen. Am linken Fuß trägt er einen schwarzgelb gestreiften Filzpantoffel. Der rechte Fuß ist nackt. Obwohl unser neuer Freund sich seiner Sache nicht ganz sicher ist – schließlich kehrt der Kerl ihm den Rücken zu -, sieht er nicht wie jemand aus, den Andy kennt.
Und er probiert alle Türknäufe aus, während er durch den Flur im zweiten Stock wieselt. Im Vorbeigehen fasst er jeden kurz an und probiert rasch, ob er sich drehen lässt. Wie ein Schließer. Oder ein Dieb. Ein gottverdammter Dieb.
Yeah. Obwohl der Mann offensichtlich alt – anscheinend älter als Andy – und fürs Zu-Bett-Gehen angezogen ist, hallt Andy der Gedanke an Diebstahl mit eigenartiger Gewissheit durch den Kopf. Sogar der eine nackte Fuß, der darauf hinzuweisen scheint, dass dieser Kerl vermutlich nicht von der Straße hereingekommen ist, hat keinen Einfluss auf seine starke Intuition.
Andy öffnet den Mund, um etwas zu rufen – irgendwas wie Kann ich Ihnen helfen? oder Suchen Sie jemanden? -, überlegt sich die Sache dann aber anders. Er hat einfach kein gutes Gefühl, was diesen Kerl betrifft. Es hat damit zu tun, wie flink der Unbekannte sich bewegt, während er die Türknäufe probiert, aber das ist nicht alles. Längst nicht alles. Er verbreitet ein Gefühl von Dunkelheit und Gefahr. Der Bademantel des alten Knackers hat Taschen, Andy kann sie sehen, und in einer von ihnen könnte eine Waffe stecken. Diebe sind zwar nicht immer bewaffnet, aber …
Der Alte biegt um die Ecke und verschwindet. Andy bleibt erst einmal stehen und denkt nach. Hätte er ein Telefon im Zimmer, könnte er unten anrufen und Morty Fine alarmieren, aber er hat keines. Also, was tun?
Nach kurzer innerer Debatte schleicht er auf Zehenspitzen den Flur entlang und linst um die Ecke. Dort befindet sich eine Sackgasse mit drei Türen: 212, 213 und ganz hinten 214, das einzige Zimmer in diesem kleinen Anbau, das gegenwärtig belegt ist. Der Mann in 214 wohnt seit dem Frühjahr hier, aber Andy kennt praktisch nur seinen Namen: George Potter. Andy
hat sich bei Hoover Dalrymple und Irv nach Potter erkundigt, aber Hoover weiß wieder mal überhaupt nichts, und Irv hat nur wenig mehr rausgekriegt.
»Du musst aber«, hatte Andy eingewandt – das Gespräch fand Ende Mai oder Anfang Juni statt, ungefähr zu dem Zeitpunkt, als die Buckhead Lounge im Nelson geschlossen wurde. »Ich hab gesehen, wie du im Lucky’s mit ihm ein Bier getrunken hast.«
Irv hatte in seiner zynischen Art eine seiner buschigen Augenbrauen hochgezogen. »Mich mit ihm beim Bier gesehen«, hatte er geschnarrt. »Wer bist du überhaupt? Meine gottverdammte Frau?«
»Ich meine ja bloß. Trinkt man mit
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