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Das schwarze Haus - King, S: Schwarze Haus

Titel: Das schwarze Haus - King, S: Schwarze Haus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Stephen;Straub King
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als er, was er braucht.
    Vor allem braucht er Ruhe. Schlaf, falls Schlaf möglich ist. Ein weiches Lager auf ebenem Grund, weit von dem bevorstehenden Aufruhr aus roten Blinklichtern und Sirenen und aufgeregten, hyperaktiven Polizeibeamten entfernt. Weit weg von all dieser Verzweiflung. Einen Ort, an dem man auf dem Rücken liegen und sich mit dem hiesigen Sternenhimmel vertraut machen kann. Nach einer halben Meile querfeldein erreicht Jack einen Ort dieser Art, einen Ort, der zwischen einem Maisfeld und den felsigen Ausläufern der bewaldeten Hügel liegt. Sein trauernder Verstand weist seinen trauernden, erschöpften Körper an, sich auszustrecken, es sich bequem zu machen, und sein Körper gehorcht. Die Sterne über ihm scheinen zu vibrieren und zu verschwimmen, aber das tun wirkliche Sterne am vertrauten, realen Himmel natürlich nicht, deshalb muss das eine optische Täuschung sein. Als Jack sich ausstreckt, scheinen das Graspolster und der Humus darunter sich seinem Körper anzupassen, aber auch das muss eine Täuschung sein, schließlich weiß jeder, dass Erdboden im richtigen Leben meistens hart, unnachgiebig und steinig ist. Jack Sawyers
trauernder Verstand weist seinen trauernden, schmerzenden Körper an, einzuschlafen, und er schläft wirklich ein, so unglaublich das klingt.
    Binnen weniger Minuten geht mit Jack Sawyers schlafendem Körper eine subtile Verwandlung vor. Die Kanten scheinen weicher zu werden, die Farben – sein weizenblondes Haar, seine hellbeige Jacke, seine braunen Wildlederschuhe – verblassen. Eine eigentümliche Durchsichtigkeit, eine Dunstigkeit oder Wolkigkeit ergänzt diesen Vorgang. Es ist, als könnten wir durch die undeutliche, verschwommene Masse seines langsam atmenden Körpers hindurchsehen und die weichen, niedergedrückten Grashalme erkennen, die seine Matratze bilden. Je länger wir hinsehen, desto deutlicher können wir das Gras unter ihm wahrnehmen, da sein Körper immer schemenhafter wird. Zuletzt ist er nur mehr ein Schimmer über den Grashalmen, und als das in Jacks Körperform niedergedrückte Gras sich wieder aufgerichtet hat, ist sein Körper längst verschwunden.

25
    Oh, schon gut! Wir wissen, wohin Jack Sawyer unterwegs ist, als er vom Rand des Maisfelds verschwindet, und wir wissen, wem er vermutlich begegnen wird, wenn er dort ankommt. Genug von diesem Zeug. Wir wollen Spaß, wir wollen Spannung! Zu unserem Glück taucht Charles Burnside, dieser charmante alte Knabe, bei dem man sich immer darauf verlassen kann, dass er bei einem Bankett einen Lachsack unters Sitzpolster des Direktors praktiziert, einen Schuss scharfe Soße in den Eintopf kippt oder bei einer Gebetsversammlung furzt, in diesem Augenblick auf der Herrentoilette im Gebäudeflügel Daisy aus der Kloschüssel einer der WC-Kabinen auf. Wir bemerken, dass Ol’ Burny, unser Burn-Burn, Henry Leydens Heckenschere an die eingesunkene Brust gepresst hält, sie tatsächlich in den Armen hält, als trüge er ein Baby. An seinem knochigen rechten Arm sickert Blut aus einer hässlichen Schnittwunde und läuft zum Ellbogen hinunter. Als er einen Fuß, an dem er den Bienenpantoffel eines anderen Heimbewohners trägt, auf den Rand der Kloschüssel setzt, sich hochstemmt und heraussteigt, schwankt er leicht. Die Lippen hat er missmutig verzogen, und die Augen gleichen Einschusslöchern, aber wir nehmen mitnichten an, dass auch ihn die Last tiefer Trauer niederdrückt. Die Aufschläge seiner Hose sind ebenso mit Blut getränkt wie die Vorderseite seines Oberhemds, das von dem Blut, das aus einer Stichwunde im Unterleib quillt, dunkel verfärbt ist.
    Vor Schmerz zusammenzuckend, öffnet Burny die Tür der
Kabine und tritt in die leere Herrentoilette hinaus. Der lange Spiegel über der Reihe von Waschbecken reflektiert das Licht der Leuchtstoffröhren; dank Butch Yerxa, der heute eine zweite Schicht einlegt, weil der Pfleger, der normalerweise Nachtdienst macht, angerufen hat, er sei zu betrunken, um zu kommen, sind die weißen Fliesen blitzblank. In all dieser glänzenden Weiße erscheint das Blut an Charles Burnsides Kleidung und Körper leuchtend rot. Er streift das Hemd ab und wirft es in ein Waschbecken, bevor er ans andere Ende der Toilette zu einem Wandschrank stapft, der mit einem Stück Pflaster gekennzeichnet ist, auf das jemand in Druckbuchstaben VERBANDSMATERIAL geschrieben hat. Alte Männer neigen dazu, auf der Toilette zu stürzen, und Chippers Vater hat den Schrank umsichtig dort aufhängen lassen,

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