Das schwarze Haus - King, S: Schwarze Haus
wo er vermutlich gebraucht werden würde. Über die weißen Fliesen zieht sich jetzt eine Spur aus zerspritzten Blutstropfen.
Burny reißt eine Hand voll Papierhandtücher aus dem Spender, feuchtet sie mit kaltem Wasser an und legt sie auf den Rand des Waschbeckens daneben. Dann öffnet er den Schrank mit Verbandsmaterial, nimmt eine breite Rolle Heftpflaster und mehrere Mullpolster heraus und reißt einen spannenlangen Pflasterstreifen ab. Er wischt das Blut von der Haut in der Umgebung der Unterleibswunde und presst die feuchten Papierhandtücher dann auf die Stichwunde. Schließlich nimmt er die Handtücher wieder weg, drückt Mullpolster auf die Wunde, klebt das Heftpflaster darüber und streicht es unbeholfen glatt. Die Schnittwunde am Arm versorgt er auf gleiche Weise.
Die weißen Fliesen sind jetzt mit Blutfäden und -flecken überzogen.
Er geht die Waschbecken entlang zurück und lässt kaltes Wasser über sein Hemd laufen. Das Wasser im Becken färbt sich rot. Burny schrubbt sein altes Hemd unter fließendem kaltem Wasser, bis die Farbe sich in ein blasses Rosa verwandelt hat, das nur wenige Schattierungen lebhafter als seine Hautfarbe ist. Er wringt es befriedigt aus, schlägt es ein paar Mal aus und zieht es dann wieder an. Dass es am Körper klebt, stört Burny nicht im Geringsten. Er bezweckt keine Eleganz, sondern eine sehr grundlegende Form von Annehmbarkeit:
Insofern das möglich ist, möchte er unbemerkt bleiben. Die Hosenaufschläge sind mit Blut getränkt, und Elmer Jespersons Pantoffeln sind dunkelrot und matschig, aber er glaubt kaum, dass die Leute sich die Mühe machen werden, seine Füße zu begutachten.
In seinem Kopf sagt eine raue Stimme immer wieder drängend: Schnella, Burn-Burn, schnella!
Burny macht nur einen einzigen Fehler: Während er das nasse Hemd zuknöpft, betrachtet er sich im Spiegel. Was er darin sieht, lässt ihn vor Entsetzen erstarren. Trotz seiner Hässlichkeit ist Charles Burnside bisher mit dem Bild, das ihm Spiegel zeigen, immer zufrieden gewesen. Seiner Meinung nach sieht er wie jemand aus, der sich auf alle möglichen Tricks versteht – gerissen, unberechenbar, verschlagen. Der Mann, der ihn jetzt aus dem Spiegel anstarrt, hat jedoch keinerlei Ähnlichkeit mit dem gewieften alten Burschen, an den Burny sich erinnert. Der Mann vor ihm sieht blöde, ausgebrannt und schwer krank aus. Tief in den Höhlen liegende, rot geränderte Augen, eingefallene Wangen wie Krater, ein Gewirr von Adern, die über einen kahlen, an einen Totenkopf erinnernden Schädel kriechen … sogar die Nase sieht knochiger und schiefer aus als früher. Ein alter Mann des Schlages, vor der Kinder sich erschrecken.
Du solldesd Kinner schreggn, Burn-Burn. Höchsde Zeid, du mussd weidah!
Er sieht doch nicht wirklich so schlimm aus, oder? Täte er das, wäre es ihm ja längst aufgefallen. Nee, so tritt Charles Burnside nicht der Welt gegenüber. Die Toilette ist nur überall verdammt weiß, das ist alles. Ein Weiß, das einen verblichen aussehen lässt. Das einen gehäutet aussehen lässt – wie einen Hasen, dem man das Fell abgezogen hat. Als das sterbende alte Ungeheuer einen Schritt näher an den Spiegel herantritt, scheinen die Altersflecken auf der Haut dunkler zu werden. Das schaurige Bild, das die Zähne ihm bieten, veranlasst ihn dazu, den Mund zu schließen.
Dann sitzt ihm sein Meister wieder wie ein Angelhaken im Kopf, zieht ihn zur Tür und murmelt: Zeid, Zeid.
Burny weiß, warum es Zeid ist: Mr. Munshun will in das Schwarze Haus zurück. Mr. Munshun stammt von einem Ort,
der unglaublich weit von French Landing entfernt liegt, und bestimmte Teile von Black House, die sie gemeinsam erbaut haben, erinnern an seine Heimatwelt – die tiefste Ebene, die Charles Burnside nur selten besucht und die jedes Mal bewirkt, dass er sich wie hypnotisiert, schwach vor Sehnsucht und kotz übel fühlt. Versucht er, sich die Welt vorzustellen, aus der Mr. Munshun stammt, erscheint vor seinem inneren Auge eine düstere, zerklüftete Landschaft, die mit Totenschädeln übersät ist. Auf den kahlen Hügeln und Gipfeln stehen schlossartige Herrensitze, die ihre Größe verändern oder sogar ganz verschwinden, wenn man blinzelt. Aus den Funken sprühenden Schluchten dröhnt eine industrielle Kakophonie, in die sich die Schreie gefolterter Kinder mischen.
Auch Burnside hat es eilig, ins schwarze Haus zurückzukehren, aber ihm geht es um die einfacheren Freuden der oberirdischen Räume, in denen er sich
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