Das schwarze Haus - King, S: Schwarze Haus
des Wohnzimmers aus verspotten handspanngroße Buchstaben seine langsame Fortbewegung.
HALLO HOLLYWOOD
Die Wörter scheinen wie eine Neonreklame zu blinken. Hallo Hollywood Hallo Hollywood.
HOHL MICH DOCH
HOHL MICH DOCH
Er möchte fluchen, aber die Last seiner Trauer gestattet ihm nicht, die Worte auszusprechen, die ihm durch den Kopf gehen. Wo der Flur zum Studio und zur Küche beginnt, steigt Jack über eine lange Blutspur hinweg und kehrt dabei dem Wohnzimmer und dem irritierenden Blinken der Neonreklame den Rücken zu. Das Licht dringt nur etwa zwei Schritte in den Flur hinein vor. Die Küche bleibt in formloses Dunkel gehüllt. Die Studiotür steht halb offen, und auf ihrem Glaseinsatz spiegeln sich sanfte Lichtreflexe.
Der Boden des Flurs schwimmt in Blut. Jack kann es nicht mehr vermeiden, in Blut zu treten, und fixiert auf seinem Weg die halb offene Studiotür. Henry Leyden hat diese Tür zu dem kleinen Korridor hin nie offen gelassen; bei ihm war sie immer geschlossen. Henry war ordentlich . Das musste er auch: Hätte er die Studiotür halb offen gelassen, wäre er beim nächsten Gang in die Küche dagegengeprallt. Der Schmutz, die Unordnung, die Henrys Mörder hinterlassen hat, verstören Jack mehr, als er sich eingestehen möchte, vielleicht sogar mehr, als er wahrnimmt. Diese Unordnung stellt eine Entheiligung dar, und Jack nimmt sie an seines Freundes Statt gewaltig übel.
Er erreicht die Tür, berührt sie, öffnet sie etwas mehr. In der Luft hängt ein konzentrierter Gestank nach Blut und Parfüm. Im Studio ist es fast so dunkel wie in der Küche, und Jack kann nur die verschwommenen Umrisse des Mischpults und die undeutlichen Rechtecke der Wandlautsprecher erkennen. Dazwischen hängt das Fenster zur Küche fast unsichtbar als dunkler Spiegel. Jack tritt näher, ohne den Türgriff loszulassen, und sieht – oder glaubt sie zu sehen – die hohe Rückenlehne eines Drehsessels und eine über der Arbeitsfläche vor dem Mischpult zusammengesunkene Gestalt. Erst dann hört er das wuppwupp-wupp eines aufgespulten Tonbands, dessen Ende gegen die Spule schlägt.
»Omeingott«, sagt Jack in einem einzigen Wort, als hätte er nicht schon die ganze Zeit etwas in genau dieser Art erwartet. Mit schrecklicher, beharrlicher Gewissheit hämmert das Tonbandgeräusch ihm die Tatsache ein, dass Henry tot ist. Jacks Trauer setzt sich über seinen feigen Drang hinweg, ins Freie zu laufen und jeden Cop in ganz Wisconsin anzurufen, indem sie ihn dazu zwingt, nach dem Lichtschalter zu tasten. Er darf nicht fort; er muss Zeuge sein, wie er es bei Irma Freneau war.
Mit den Fingern streift er den nach unten gekippten Plastikschalter und bleibt mit der Hand auf ihm liegen. Im Rachen steigt ihm ein saurer, messingner Geschmack auf. Er kippt den Schalter nach oben. Licht überflutet das Studio.
Der tote Henry hängt über die Arbeitsfläche nach vorn gesunken aus dem hochlehnigen Ledersessel, die Hände ruhen auf beiden Seiten seines kostbaren Mikrofons, das Gesicht liegt flach auf der rechten Seite. Er trägt noch immer seine Sonnenbrille, aber einer der dünnen Metallbügel ist verbogen. Auf den ersten Blick scheint alles rot angestrichen zu sein, der fast gleichmäßige Blutfilm, der die Arbeitsfläche bedeckt, ist nämlich seit einiger Zeit in Henrys Schoß und auf die beiden Oberschenkel getropft, und alle Studiogeräte sehen wie rot angesprüht aus. Aus Henrys linker Backe ist ein Stück herausgebissen worden. An der rechten Hand fehlen die beiden letzten Finger. Jack, der automatisch Inventur macht, während sein Blick sämtliche Details in dem kleinen Raum registriert,
hat den Eindruck, dass Henry das meiste Blut aus einer Wunde am Rücken verloren hat. Blutgetränkte Kleidung verdeckt die Wunde, aber auf der Sitzfläche des Drehsessels hat sich ebenso viel Blut wie auf der Arbeitsfläche angesammelt, Blut, das jetzt herabtropft. Das meiste Blut auf dem Fußboden muss aus dieser Wunde stammen. Der Fisherman muss ein inneres Organ zerschlitzt oder eine Arterie durchtrennt haben.
Außer einem dünnen roten Nebel auf den Bedienungsknöpfen hat das Tonbandgerät sehr wenig abbekommen. Jack kann sich kaum erinnern, wie diese Geräte funktionieren, aber er hat oft genug zugesehen, wie Henry Tonbandspulen gewechselt hat, um ungefähr zu wissen, was er tun muss. Er stellt das Gerät ab und fädelt das Ende des Tonbands in die leere Spule ein. Dann schaltet er das Gerät wieder ein und drückt auf REWIND. Das Magnetband
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