Das schwarze Haus - King, S: Schwarze Haus
liegt feucht um den dürren Hals mit den kordelartig hervortretenden Sehnen. Ab und zu fährt er sich mit dem Handrücken über den Mund oder stochert mit einem abgebrochenen Daumennagel zwischen den Zähnen, aber sonst bewegt er sich überhaupt nicht. Er sieht aus, als hätte ihn jemand am Straßenrand abgesetzt und wäre davongefahren. Kommen die umhertobenden Enkel aus Versehen in Burnys Nähe, weichen sie augenblicklich wie von einem Kraftfeld abgestoßen zurück.
Zwischen Alice und Burny stopfen drei Viertel der Bewohner des Maxton sich an den Tischen voll, schlurfen mit ihren Gehhilfen herum, sitzen unter den Bäumen, hocken in ihren Rollstühlen, humpeln hierhin und dorthin – schwatzen, dösen, kichern, furzen, tupfen auf frischen Erdbeerflecken an ihrer Kleidung herum, starren ihre Angehörigen an, starren ihre zitternden Hände an, starren ins Leere. Eine Hand voll der am wenigsten ansprechbaren Heimbewohner tragen konische Papierhütchen in einem harten, glanzlosen Rot und einem harten, glanzlosen Blau, den Farben erzwungener Fröhlichkeit. Die Frauen aus der Küche haben angefangen, mit großen schwarzen Müllsäcken die Runde zwischen den Tischen zu machen, sie müssen sich nämlich bald in ihr Reich zurückziehen, um das große Festmahl des heutigen Abends zuzubereiten: Kartoffelsalat, Kartoffelbrei, Kartoffelpüree, gebackene Bohnen, Götterspeise, Marshmallow-Salat, Schlagsahne-Salat und natürlich die riesige Erdbeertorte!
Chipper Maxton, der unbestrittene und erbliche Souverän
dieses Reichs, dessen Temperament sonst dem eines in einem Schlammloch festsitzenden Stinktiers gleicht, hat die vergangenen eineinhalb Stunden damit zugebracht, lächelnd herumzuschlendern und Hände zu schütteln, aber jetzt hat er genug. »Pete«, knurrt er, »wo zum Teufel bleiben Sie so lange? Sie fangen an, die Klappstühle aufzustapeln, okay? Und helfen mit, diese Leute in den Gemeinschaftsraum zu verfrachten. Los, Bewegung, verdammt noch mal! Der Westen ruft!«
Pete hastet davon, und Chipper klatscht zweimal laut in die Hände, dann hebt er die ausgestreckten Arme. »He, alle miteinander«, brüllt er, »könnt ihr wirklich fassen, was für einen verflixt herrlichen Tag der liebe Gott uns für dieses schöne Fest geschenkt hat? Ist das nicht toll? «
Ein halbes Dutzend schwacher Stimmen erhebt sich zustimmend.
»Kommt schon, Leute, das könnt ihr besser! Ich will’s für diesen wundervollen Tag hören, auch dafür, dass wir uns alle so wundervoll amüsieren, und für all die wundervolle Hilfe und Unterstützung durch unsere Freiwilligen und unsere Mitarbeiter!«
Leicht überschwänglicherer Jubel belohnt seine Mühe.
»Also gut ! He, wisst ihr was? Wie George Rathbun sagen würde, könnte sogar ein Blinder sehen, wie großartig wir uns alle amüsieren. Ich weiß, dass ich’s tue, und wir sind noch längst nicht am Ende! Wir haben den großartigsten Discjockey, den ihr je gehört habt, einen Kerl namens Symphonic Stan der Big-Band-Man, der nur darauf wartet, euch im Gemeinschaftsraum eine ganz, ganz wundervolle Show mit nonstop Musik und Tanz bis zum großen Erdbeerfestdinner zu bieten, und wir haben ihn noch dazu billig gekriegt – aber erzählt ihm nicht, dass ich das gesagt habe! Also, liebe Freunde und Angehörige, es wird jetzt Zeit, Abschied zu nehmen und Ihre Lieben zu den Golden Oldies schwofen zu lassen, genau wie sie selbst, haha! Golden Oldies, das sind wir hier im Maxton doch alle. Selbst ich bin nicht mehr so jung wie früher, haha, deshalb werde ich heute Abend vielleicht mit irgendeiner glücklichen Lady eine Runde drehen.
Im Ernst, Leute, für uns wird’s Zeit, die Tanzschuhe anzuziehen.
Bitte küssen Sie Dad oder Mama, Granddad oder Grandma zum Abschied, und beim Hinausgehen wollen Sie vielleicht einen kleinen Unkostenbeitrag in dem Korb auf Ragtime Willies Klavier gleich dort drüben hinterlassen, zehn Dollar, fünf Dollar, jeder Betrag, den Sie erübrigen können, hilft uns, die Kosten für den frohen, frohen Tag zu decken, den wir Ihrer Mama, Ihrem Dad bereiten. Wir tun es aus Liebe, aber die Hälfte dieser Liebe ist Ihre Liebe.«
In einem Zeitraum, der uns vielleicht überraschend kurz erscheint – nicht jedoch Chipper Maxton, der recht gut weiß, dass nur sehr wenige Leute sich länger in einem Altenheim aufhalten wollen, als sie unbedingt müssen -, verteilen die Angehörigen ihre letzten Küsse und Umarmungen, treiben die erschöpften Kinderchen zusammen und folgen im Gänsemarsch
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