Das schwarze Manifest
landwirtschaftlich strukturiertes Gebiet voller Erinnerungen an den Amerikanischen Bürgerkrieg, der zu achtzig Prozent in Virginia stattgefunden hat, was kein Virginier jemals vergessen wird. In der örtlichen County Grade School hatten die meisten seiner Klassenkameraden Väter, die Tabak oder Sojabohnen anbauten oder Schweine züchteten – oder alles zusammen taten.
Im Gegensatz dazu arbeitete Jason Monks Vater als Förster im Shenandoah-Nationalpark. Als Angestellter im Forestry Service war noch keiner Millionär geworden, aber für einen Jungen war das ein schönes Leben, auch wenn Geld bei ihnen daheim immer knapp war. Ferien waren nicht zum Faulenzen, sondern dazu da, Möglichkeiten zu finden, durch Ferienarbeit etwas dazuzuverdienen, um die Familienfinanzen aufzubessern.
Er erinnerte sich daran, wie sein Vater ihn als Kind mit in den Nationalpark hinaufgenommen hatte, der sich über die Blue Ridge Mountains erstreckte, um ihm die Unterschiede zwischen Rottannen, Hemlocktannen, Fichten und Eichen zu erklären. Manchmal begegneten sie Wildhütern, und er hörte mit großen Augen und Ohren zu, wenn sie von Schwarzbären und Weißschwanzhirschen erzählten oder über die Jagd auf Truthähne, Moorhühner und Fasane berichteten.
Später lernte er, mit unfehlbarer Sicherheit zu schießen, Fährten zu suchen, sich anzupirschen, ein Lager aufzuschlagen und es am nächsten Morgen wieder spurlos zu beseitigen, und als er groß und stark genug war, arbeitete er in den Ferien in Holzfällercamps.
Nachdem er von seinem fünften bis zum zwölften Lebensjahr die County Grade School besucht hatte, wechselte er kurz nach seinem dreizehnten Geburtstag auf die County High School in Charlottesville über und stand jeden Morgen vor Tagesanbruch auf, um aus Crozet in die große Stadt zu fahren. In der High-School sollte sich etwas ereignen, das sein ganzes Leben verändern würde.
Damals, im Jahr 1944, hatte ein bestimmter amerikanischer Sergeant sich mit Tausenden seiner Kameraden von Omaha Beach aufgerappelt, um weiter ins Hinterland der Normandie vorzustoßen. Irgendwie außerhalb von St. Lö war er als Versprengter ins Visier eines deutschen Scharfschützen geraten. Aber er hatte Glück, denn er kam mit einem Streifschuß am Oberarm davon. Der dreiundzwanzigjährige Amerikaner kroch ins nächste Bauernhaus, wo die Familie seine Wunde versorgte und ihm Unterschlupf gewährte. Als die sechzehnjährige Tochter des Hauses ihm in die Augen sah, während sie kalte Kompressen auf seine Wunde drückte, wurde ihm bewußt, daß er schwerer getroffen war, als jede deutsche Kugel ihn hätte treffen können.
Ein Jahr später kehrte er aus Berlin in die Normandie zurück, hielt um ihre Hand an und ließ sich im Obstgarten des Bauernhofs ihres Vaters von einem Militärgeistlichen der US Army mit ihr trauen. Weil Franzosen nicht in Obstgärten heiraten, wiederholte der Dorfpfarrer diese Zeremonie später in seiner Kirche. Dann nahm er seine junge Frau mit zu sich heim nach Virginia.
Zwanzig Jahre später war er stellvertretender Direktor der County High School in Charlottesville, und seine Frau schlug ihm vor, da ihre Kinder sie nicht mehr brauchten, könne sie in der Schule als Französischlehrerin arbeiten. Zwar stand das Fach schon lange auf dem Lehrplan, aber da Mrs. Josephine Brady hübsch und charmant war und außerdem Französin, waren Plätze in ihren Kursen hochbegehrt.
Im Herbst 1965 meldete sich ein Neuer für den Französischkurs an: ein ziemlich schüchterner Blondschopf mit gewinnendem Lächeln, der Jason Monk hieß. Binnen Jahresfrist konnte sie beschwören, noch nie einen Ausländer so perfekt französisch sprechen gehört zu haben. Der Junge mußte ein Naturtalent sein, denn geerbt konnte er dieses Talent nicht haben. Aber er besaß es jedenfalls – nicht nur die Beherrschung von Grammatik und Satzbau, sondern auch die Fähigkeit, völlig akzentfreies Französisch zu sprechen.
Im letzten Schuljahr besuchte Jason sie oft zu Hause, und sie lasen gemeinsam Malraux, Proust, Gide und Sartre (der für die damalige Zeit unglaublich erotisch war), aber ihre Lieblingsautoren waren die älteren romantischen Dichter Rimbaud, Mallarme, Verlaine und de Vigny. Es war nicht beabsichtigt, aber es passierte trotzdem. Vielleicht waren die Dichter daran schuld, aber trotz des Altersunterschieds, der ihnen beiden egal war, hatten sie eine kurze Affäre.
Noch vor seinem achtzehnten Geburtstag beherrschte Jason Monk zwei Fähigkeiten,
Weitere Kostenlose Bücher