Das schwarze Manifest
geregelt?«
Dr. Probyn biß herzhaft in sein letztes Sandwich und warf einen Blick auf den Kuchen.
»Im Gegenteil. Das ist das reinste Chaos. Bei den überlebenden Nachfahren geht alles durcheinander. Und ständig macht ein anderer Erbansprüche geltend. Warum wollen Sie das wissen?«
»Nehmen wir einmal an«, antwortete Sir Nigel, »die Russen würden aus irgendeinem Grund die konstitutionelle Monarchie wiederherstellen und einen Zaren auf den Thron setzen wollen.«
»Nun, das wäre schlecht möglich, weil sie ihn nie hatten. Der letzte Kaiser – das ist nämlich seit 1721 der korrekte Titel, Zar wurde er nur im Volksmund genannt – hieß Nikolaus II. und war ein absolutistischer Monarch. So etwas wie eine konstitutionelle Monarchie haben die Russen nie gehabt.«
»Bitte verzeihen Sie mir meine Unkenntnis.«
Dr. Probyn schob sich den letzten Bissen eines Eclair in den Mund und nippte an seinem Tee. »Gutes Gebäck«, brummte er.
»Das freut mich.«
»Na gut, im extrem unwahrscheinlichen Fall einer Restauration hätten sie ein gewaltiges Problem. Wie Sie wissen, wurde Nikolaus mit seiner Frau und seinen fünf Kindern 1918 bei Jekaterinburg abgeschlachtet. Das war die direkte Linie. Alle angeblichen Thronanwärter entstammen einer Nebenlinie. Nun, ein paar davon gehen auf Nikolaus' Großvater zurück.«
»Es gibt also keinen unanfechtbaren Anspruch?«
»Nein. In meinem Büro könnte ich Ihnen das genauer darlegen. Da habe ich sämtliche Tabellen rumliegen. Hier könnte ich sie unmöglich ausbreiten. Sie sind ziemlich groß – kein Wunder bei den vielen Namen und Verzweigungen.«
»Aber theoretisch wäre die Wiedereinrichtung der Monarchie doch denkbar, nicht wahr?«
»Ist das Ihr Ernst, Sir Nigel?«
»Wir sprechen ja nur über eine theoretische Möglichkeit.«
»Na ja, theoretisch ist alles möglich. Jede Monarchie kann sich zur Republik umwandeln und den König rauswerfen. Oder die Königin. In Griechenland war das ja so. Umgekehrt kann jede Demokratie eine konstitutionelle Monarchie einführen. Siehe Spanien. Beides ist in den letzten dreißig Jahren geschehen. Klar, möglich ist so was immer.«
»Dann wäre also die Frage des Kandidaten das Hauptproblem?«
»Richtig. General Franco schuf neue Gesetze zur Wiederherstellung der Monarchie für die Zeit nach seinem Tod. Als König bestimmte er den Enkel von Alfonso III., Prinz Juan Carlos, der das Land heute noch regiert. Aber dort meldete kein anderer Ansprüche auf den Thron an. Die Ahnenlinie war absolut eindeutig. Streitereien um die Thronfolge können zu einer schmutzigen Angelegenheit ausarten.«
»Ist die Thronfolge in der Romanow-Linie denn umstritten?«
»Und wie! Eine total verfahrene Situation.«
»Gibt es da einen heißen Kandidaten?«
»Spontan fällt mir niemand ein. Da müßte ich erst nachsehen. Es ist ziemlich lange her, daß mich jemand so was gefragt hat.«
»Könnten Sie noch einmal nachschauen?« bat ihn Sir Nigel. »Für den Rest der Woche muß ich verreisen. Aber hätten Sie Zeit, wenn ich zurückkomme? Ich rufe Sie in Ihrem Büro an.«
In den Tagen, in denen der KGB noch ein gewaltiger Unterdrückungs-, Kontroll- und Spionageapparat unter der Führung eines einzigen Direktors war, hatte man für die Vielzahl der Aufgaben entsprechend viele Hauptverwaltungen, Nebenverwaltungen und Abteilungen gebraucht.
Dazu gehörten beispielsweise die Achte Hauptverwaltung und die Sechzehnte Nebenverwaltung, die beide für elektronische Überwachung, Abhören des Funkverkehrs, Anzapfen von Telefonleitungen und Spionagesatelliten zuständig waren. Aufgrund ihres Aufgabenbereichs entsprachen sie der National Security Agency (nationaler Sicherheitsdienst) und der National Reconnaissance Organization (Organisation für Aufklärung) in Amerika sowie dem BGCH – British Government Communication Headquarters (Nachrichtendienst der britischen Regierung).
Für die alten Haudegen des KGB, wie beispielsweise den langjährigen Vorsitzenden Andropow, war die Beschaffung von Informationen auf elektronischem Weg ein Buch mit sieben Siegeln, doch wurde damit zumindest die Bedeutung von High-Tech anerkannt. Mochte die sowjetische Gesellschaft selbst in technologischer Hinsicht um Jahre dem Westen hinterherhinken, so war die Achte Hauptverwaltung doch stets auf dem neuesten Stand. Für Spionage und Rüstung scheute man weder Kosten noch Mühen.
Nach der Zerschlagung des Monolithen KGB durch Gorbatschow wurden die Achte Haupt- und die Sechzehnte
Weitere Kostenlose Bücher