Das schwarze Manifest
Falls wir eine Nachricht abfangen, können wir sie in aller Ruhe analysieren. Der Sender wird nur für die Dauer einer Nanosekunde aktiv sein.«
Einen Tag nach Monks Gespräch mit General Nikolajew fing das SZKI ein Signal auf. Gleich darauf klingelte das Telefon in Grischins Büro am Kiselnyboulevard.
»Er war online«, meldete der Spezialist.
»Haben Sie die Botschaft?«
»Ja, und sie ist nicht kommerziell. Er benutzt einen Einmalcode. So was kann niemand knacken.«
»Nicht so gut«, knurrte Grischin. »Von wo aus hat er gesendet?«
»Moskau oder Umgebung.«
»Na, großartig – größer geht es wohl nicht mehr! Ich brauche das Gebäude.«
»Geduld. Wir glauben, den Satelliten, den er benutzt, zu kennen. Wahrscheinlich ist es eines von den beiden InTelCor-Geräten, die täglich über uns hinwegfliegen. Zum Zeitpunkt der Meldung war er nämlich gerade am Horizont zu sehen. Auf ihn können wir uns das nächste Mal konzentrieren.«
»Tun Sie das!« bellte Grischin.
Sechs Tage lang hatte sich Monk Grischins Straßenarmee entziehen können. Der Chef des Sicherheitsdienstes der UPK stand vor einem Rätsel. Irgendwas mußte der Mann doch essen. Entweder hockte er in einem Versteck und traute sich nicht mehr raus, womit er ja wenig Schaden anrichten konnte, oder aber er trieb sich als Russe verkleidet herum, was früher oder später seine Enttarnung zur Folge hatte. Oder hatte er nach seinem vergeblichen Gespräch mit dem Patriarchen heimlich das Land verlassen? Es gab allerdings noch eine vierte Möglichkeit: Er stand unter dem Schutz bestimmter Leute, und jemand stellte ihm alles zur Verfügung, was er brauchte – Nahrung, eine Schlafgelegenheit, neue Kleider, Leibwächter. Aber wer? Das war das Rätsel, und Grischin tappte weiterhin im dunkeln.
Zwei Tage nach seinem Gespräch mit Dr. Probyn im Ritz flog Sir Nigel Irvine nach Moskau. Als Begleiter hatte er einen Dolmetscher dabei. Zwar hatte er früher einmal die russische Sprache für den Hausgebrauch beherrscht, aber seine Kenntnisse waren seitdem zu lückenhaft geworden, als daß er sich in heiklen Diskussionen darauf hätte verlassen können.
Sein Begleiter war der des Russischen mächtige Exsoldat Brian Marks, der diesmal allerdings mit seinen richtigen Papieren, ausgestellt auf Brian Vincent, einreiste. Im Flughafen tippte der Zollbeamte beide Namen in seinen Computer ein, doch keiner war wegen kürzlicher oder häufiger Besuche registriert worden.
»Gehören Sie zusammen?« Der Beamte musterte die beiden Männer. Der weißhaarige, schlanke war eindeutig der ältere. Laut seinem Paß war er Mitte Siebzig. Der andere, ein Enddreißiger, sah äußerst fit aus und trug einen dunklen Anzug.
»Ich bin der Dolmetscher dieses Herrn«, erklärte Vincent.
»Mein Russki nichts gut«, sprang ihm Sir Nigel in seinem schlechtesten Russisch bei.
Der Beamte hatte sein Interesse schon wieder verloren. Ausländische Geschäftsleute brauchten oft einen Dolmetscher. Man konnte sich welche in einer Moskauer Agentur vermitteln lassen. Manche Industriemagnaten brachten ihren eigenen mit. Das war normal. Er winkte sie durch.
Die zwei Briten gingen ins National, in dem auch der unglückselige Jefferson übernachtet hatte. Auf Sir Nigel wartete bereits ein Umschlag, den am Vortag ein Mann mit olivfarbener Haut abgegeben hatte. Wer das gewesen war, vermochte niemand mehr zu sagen, doch zufällig handelte es sich um einen Tschetschenen. Irvine bekam den Umschlag zusammen mit dem Zimmerschlüssel überreicht.
Er enthielt nichts als einen leeren Papierbogen. Wäre er abgefangen worden oder verlorengegangen, wäre kein besonderer Schaden entstanden. Nicht der Bogen war beschriftet, sondern die Innenseite des Umschlags, und zwar mit einer in Zitronensaft getauchten Feder.
Brian schlitzte den Umschlag auf, strich ihn glatt und wärmte ihn behutsam mit einem Streichholz an. Sechs blaßbraune Zahlen wurden sichtbar, eine private Telefonnummer. Sir Nigel prägte sie sich ein und wies Brian an, das Papier zu verbrennen und die Asche in der Toilette hinunterzuspülen. Danach gingen die zwei Männer zum Dinner nach unten ins Hotel und warteten noch bis zehn Uhr in ihrem Zimmer.
Als das Telefon schrillte, nahm Patriarch Alexei II. persönlich ab, denn es handelte sich um seinen privaten Apparat, dessen Nummer nur sehr wenige Personen seines Vertrauens kannten.
»Ja«, sagte er vorsichtig.
Die Stimme am anderen Ende der Leitung hatte er noch nie gehört. »Patriarch Alexei?« Der
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