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Das schwarze Manifest

Das schwarze Manifest

Titel: Das schwarze Manifest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederick Forsyth
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ich doch nur die Gabe, soviel Feuer, soviel Leidenschaft zu erwecken! dachte er, während er, von niemandem erkannt, inmitten der Menge stand. Könnte ich doch auch mit einer solchen Sprachgewalt der Kirche dienen!
    In der Tat fesselte Gregor seine Zuhörer. Er sprach die Sprache des Volkes, war einer von ihnen. Dazu konnte er seine Predigten mit den Flüchen aus den Baracken im Arbeitslager würzen. Er kannte die Sorgen der Jugend, ihre Popidole, wußte, wie schwer es für Hausfrauen war, über die Runden zu kommen, und verstand, daß Wodka einem bisweilen die Not erträglicher machte.
    Er war fünfunddreißig und alleinstehend und führte ein asketisches Leben, doch wußte er mehr über die Sünden des Fleisches, als man im Priesterseminar lernt. Die führenden Teenagermagazine hatten ihn ihren Lesern sogar als Sexsymbol vorgeschlagen.
    Nach der Predigt ging Alexei weder zur Miliz noch verlangte er Gregors Verhaftung. Nein, er lud den unbeugsamen Außenseiter zum Essen ins Danilowski-Kloster ein. Dort verzehrten sie an einem Holztisch eine karge Mahlzeit, die der Patriarch selbst auftrug.
    Sie sprachen die ganze Nacht hindurch. Alexei erklärte Gregor ihre Aufgabe, die langsame Reform einer Kirche, die lange einer Diktatur hatte dienen müssen, ihre Versuche, zur Hirtenrolle für hundertvierzig Millionen Christen in Rußland zurückzufinden.
    In der Morgendämmerung erzielten sie endlich Einigkeit. Pater Gregor willigte ein, seine Zuhörer zwar weiterhin zu bitten, Gott in Haus und Arbeit zu suchen, sie aber ebenfalls aufzufordern, in den Schoß der Kirche zurückzukehren.
    Im Gegenzug eröffnete der Patriarch Gregor mit seiner stillen Hilfe ungeahnte Möglichkeiten. Ein größerer Fernsehsender erklärte sich plötzlich bereit, wöchentlich seine Predigten, die ohnehin schon für Volksaufläufe sorgten, zu übertragen, um sie somit auch in die Millionen von Haushalten zu bringen, die der Wanderprediger sonst nie erreicht hätte. Die Folge war: Im Winter 1999 galt dieser Priester noch vor Igor Komarow als der wortgewaltigste Redner Rußlands.
    Nachdem Sir Nigel geendet hatte, schwieg der Patriarch eine ganze Weile. Schließlich murmelte er: »Ich werde mit Pater Gregor über die Rückkehr des
Zaren
sprechen.«
    Der Wind peitschte über den Slawjanskiplatz und brachte wie jedes Jahr gegen Ende November die ersten Schneeflocken, die Boten der nahenden bitteren Kälte.
    Der dickliche Priester verbarg sein Gesicht vor dem Wind und hastete durch das Tor, eilte über den kleinen Hof und betrat die Wärme der Allerheiligenkirche in Kulischki. Er roch nach Weihrauch und feuchter Wolle.
    Auch diesmal war er von einem parkenden Auto aus beschattet worden, und als seine Beobachter sich überzeugt hatten, daß ihm niemand gefolgt war, ging Oberst Grischin ihm nach.
    »Sie haben angerufen«, sagte er, als sie nebeneinander unter den wenigen Gläubigen standen und vorgaben, die Wandgemälde zu bewundern.
    »Gestern abend. Da kam ein Mann. Aus England.«
    »Nicht aus Amerika? Sind Sie sicher?«
    »Ja, Oberst. Kurz nach zehn sagte mir Seine Heiligkeit, ich solle auf einen Herrn aus England warten und ihn einlassen. Er kam mit seinem Dolmetscher, einem jüngeren Mann. Ich ließ sie ein und führte sie ins Arbeitszimmer. Dann habe ich Kaffee serviert.«
    »Worüber haben sie geredet?«
    »Als ich im Zimmer war, entschuldigte sich der ältere Engländer dafür, daß er so schlecht Russisch spreche. Der jüngere Mann hat Wort für Wort übersetzt. Dann bat mich der Patriarch, das Tablett abzustellen, und schickte mich hinaus.«
    »Sie haben an der Tür gehorcht?«
    »Ich habe es versucht. Aber offenbar hat der jüngere Engländer seinen Schal über die Türklinke gehängt, jedenfalls habe ich nichts gesehen und konnte auch fast nichts hören.
    Dann kam der Kosak auf seinem Rundgang vorbei, und ich mußte gehen.«
    »Hat er seinen Namen genannt, dieser ältere Engländer?«
    »Nein, nicht, solange ich im Zimmer war. Vielleicht hat er sich vorgestellt, als ich Kaffee gekocht habe, aber weil der Schal vor dem Schlüsselloch hing, konnte ich nichts sehen und fast nichts verstehen. Und was ich verstanden habe, macht keinen Sinn.«
    »Erzählen Sie nur, vielleicht werde ich ja schlau draus, Pater Maxim.«
    »Einmal wurde der Patriarch lauter. Ich hörte, wie er ausrief. ›Den Zar zurückholen?‹ Er wirkte ziemlich erstaunt. Dann wurden sie wieder leiser.«
    Oberst Grischin starrte die Bilder der Mutter Gottes mit dem Kind im Arm an, und

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