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Das schwarze Manifest

Das schwarze Manifest

Titel: Das schwarze Manifest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederick Forsyth
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gewesen, ehe er von Moskau abberufen wurde, um die ultrageheime illegale Abteilung zu führen.
    Die »Illegalen« sind jene Agenten, die ohne diplomatischen Schutz auf feindliches Territorium vordringen, um als Geschäftsleute, Akademiker oder in ähnlichen Berufen in einer fremden Gesellschaft unterzutauchen und jene heimischen Agenten zu »führen«, die sie angeworben haben. Falls man sie schnappt, werden sie nicht ausgeliefert, sondern verurteilt und ins Gefängnis gesteckt. Jahrelang hatte Drosdow die Illegalen des KGB ausgebildet und zum Einsatz geschickt.
    Grischin war ihm kurz begegnet, als Drosdow während seiner letzten Tage als aktiver Offizier dem kleinen und geheimen Team in Jasenewo vorstand, dessen Aufgabe die Analyse jener Flut von Materialien war, die Aldrich Ames ihnen zugespielt hatte. Damals hatte Grischin die Verhöre der verratenen Spione geleitet.
    Das Mißfallen war gegenseitiger Natur gewesen. Drosdow zog Scharfsinn und Geschick der brutalen Gewalt vor, während Grischin, der bis auf einen kurzen und ruhmlosen Ausflug nach Ostberlin die UdSSR niemals verlassen hatte, jene Leute in der Ersten Hauptabteilung verachtete, die jahrelang im Westen gelebt hatten und von ausländischen Manieriertheiten »angesteckt« worden waren. Trotzdem hatte Drosdow eingewilligt, ihn in seiner Wohnung über der Marosejkastraße zu empfangen. Grischin legte ihm das vergrößerte Foto vor.
    »Haben Sie den schon einmal gesehen?« fragte er.
    Verblüfft sah er, wie der alte Spionagechef den Kopf in den Nacken warf und laut schallend lachte.
    »Ihn gesehen? Persönlich nicht, nein. Aber dieses Gesicht ist allen Leuten meines Alters, die jemals in Jasenewo gearbeitet haben, ins Gedächtnis eingebrannt. Wissen Sie denn nicht, wer das ist?«
    »Nein, sonst wäre ich wohl kaum hier.«
    »Tja, wir nannten ihn den Fuchs. Nigel Irvine. Hat in den Sechzigern und Siebzigern sämtliche Operationen gegen unsere Seite geleitet und war anschließend sechs Jahre lang Chef des britischen Geheimdienstes.«
    »Ein Spion.«
    »Ein Meisterspion«, korrigierte ihn Drosdow. »Und er war einer der besten. Warum interessieren Sie sich für ihn?«
    »Er war gestern in Moskau.«
    »Ach, herrje, und wissen Sie, warum?«
    »Nein«, log Grischin.
    Drosdow beobachtete ihn aufmerksam. Diesem »Nein« schenkte er keinen Glauben.
    »Was geht Sie das überhaupt an? Sie sind doch jetzt draußen. Sind Sie nicht neuerdings der Anführer von Komarows schwarzuniformierter Verbrecherbande?«
    »Ich bin der Sicherheitschef der Union Patriotischer Kräfte«, sagte Grischin pikiert.
    »Ist doch das gleiche«, knurrte der alte General. Er begleitete Grischin zur Tür.
    »Falls er noch mal wiederkommt, sagen Sie ihm, er soll auf einen Drink vorbeischauen!« rief er Grischin hinterher. Dann murmelte er »Arschloch« und schloß die Tür.
    Grischin ließ seine Informanten in der Einwanderungsbehörde wissen, daß er sofort benachrichtigt werden wollte, falls ein Sir Nigel Irvine oder ein Herr Trubshaw noch einmal nach Moskau einreisen wolle.
    Am nächsten Tag gab Armeegeneral Nikolai Nikojalew der größten Zeitung des Landes,
Iswestija,
ein Interview. Für die Zeitung war das Gespräch ein Knüller, denn bisher hatte sich der alte Kämpe noch nie den Medien gestellt.
    Es war ausgemacht, daß sich das Interview um den bevorstehenden vierundsiebzigsten Geburtstag des Generals drehen sollte, und es begann mit einigen allgemeinen Fragen nach seiner Gesundheit.
    Der General saß kerzengerade in einem Ledersessel in einem Zimmer des Offiziersklubs der Akademie Frunse und erzählte dem Reporter, daß seine Gesundheit ausgezeichnet sei.
    »Ich habe noch meine eigenen Zähne«, blaffte er, »brauche keine Brille und marschiere jedem jungen Spund in Ihrem Alter davon.«
    Der Reporter, Anfang Vierzig, glaubte ihm aufs Wort. Die zwanzigjährige Fotografin schaute ehrfürchtig zu ihm auf. Ihr Großvater hatte ihr erzählt, wie er dem jungen Panzerkommandanten vor vierundfünfzig Jahren nach Berlin gefolgt war.
    Das Gespräch wandte sich der allgemeinen politischen Lage zu.
    »Erbärmlich«, fauchte Onkel Kolja. »Eine Schande.«
    »Bei der Wahl im Januar«, sagte der Reporter, »stimmen Sie doch sicherlich für die UPK und Igor Komarow, nicht wahr?«
    »Für die? Niemals«, schnaubte der General. »Ein Haufen Faschisten, nichts sonst. Mit einer sterilisierten Kneifzange würde ich die nicht anfassen.«
    »Ich verstehe nicht«, sagte der Journalist mit zitternder Stimme.

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