Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das schwarze Manifest

Das schwarze Manifest

Titel: Das schwarze Manifest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederick Forsyth
Vom Netzwerk:
Prinzessin der Romanows und ein Smoking tragender Mann mit vollem Bariton.
    Als sie ihre im Duett gesungene Ballade beendet hatten, trat der Sänger einen Schritt vor. Das Orchester am Ende der Galerie verstummte, und die tiefe, warme Stimme hob an, das Liebeslied jenes Soldaten zu singen, der sein Mädchen »Kalinka« daheim zurückgelassen hat.
    Das Geschirrgeklapper verklang, die Russen wurden still, und auch die Ausländer hörten auf zu reden. Der Bariton füllte den Saal. »Kalinka, Kalinka, Kalinka moja.«
    Als die letzten Töne verklangen, erhoben sich die Russen und prosteten dem weißbärtigen Mann vor den Wandteppichen zu während der Sänger sich verbeugte und für den Applaus bedankte. Wiktor stand neben einer Gruppe von sechs japanischen Gästen.
    »Wer ist dieser alte Mann?« fragte einer von ihnen auf englisch.
    »Ein Held des Großen Vaterländischen Krieges«, erwiderte Wiktor.
    Der englisch sprechende Japaner übersetzte für den Rest der Gruppe.
    »Ach, deshalb«, sagten sie und hoben ihre Gläser.
»Kampei.«
    Onkel Kolja nickte und strahlte, hob sein Glas auf den Sänger und den Saal und trank aus.
    Es war ein gutes Mahl gewesen, Forelle und Ente, dazu armenischen Wein und zum Abschluß Kaffee. Bei den Preisen im Bojarski dürfte es den Generalmajor ein Monatsgehalt kosten, aber er fand, sein Onkel war es wert.
    Erst als er etwa dreißig Jahre alt geworden war und einige recht üble, wenn auch durchaus hochrangige Offiziere kennengelernt hatte, wurde ihm allmählich klar, warum sein Onkel für die Panzergrenadiere zu einer solchen Legende geworden war. Ihn zeichnete etwas aus, was schlechte Offiziere nicht kannten, nämlich eine leidenschaftliche Sorge um die Männer, die unter ihm dienten. Nachdem er seine erste Division und seine ersten roten Schulterklappensterne bekommen hatte, schaute Generalmajor Andrejew auf die Ruinen Tschetscheniens und begriff, daß Rußland sich glücklich schätzen konnte, wenn es noch einmal einen Mann wie Onkel Kolja hervorbrachte.
    Der Neffe würde nie vergessen, was er im Alter von zehn Jahren erlebt hatte. Zwischen 1945 und 1964 hatten es weder Stalin noch Chruschtschow für nötig gehalten, den Toten des Krieges in Moskau ein Denkmal zu errichten. Ihr eigener Personenkult war ihnen wichtiger gewesen, obwohl sie beide am Tag des Ersten Mai kaum auf Lenins Mausoleum gestanden und die Paraden abgenommen hätten, wären zwischen 1941 und 1945 nicht Millionen Menschen für ihr Land gestorben.
    1966 dann, nachdem Chruschtschow gestürzt worden war, befahl das Politbüro endlich die Errichtung eines Ehrenmals mit einem Ewigen Licht zur Erinnerung an den Unbekannten Soldaten.
    Doch das Denkmal wurde nicht auf einem freien Platz errichtet. Es stand verborgen unter den Bäumen des Alexandrowskigartens dicht an der Kremlmauer, wo es kein zufälliger Blick jener endlosen Menschenmenge entdecken konnte, die Schlange standen, um Lenins einbalsamierten Leichnam zu sehen.
    Im Anschluß an die damalige Maiparade, nachdem die vorbeirollenden Panzer, die Kanonen und Raketen, die Truppen im Stechschritt und die tanzenden Turner auf dem Roten Platz vom zehnjährigen Kadetten mit weit aufgerissenen Augen bewundert worden waren, hatte ihn sein Onkel bei der Hand genommen und war mit ihm vorbei an den Gärten und der Manege die Kremlew-Allee entlanggegangen.
    Unter den Bäumen lag eine flache, polierte Platte aus rotem Granit. Daneben brannte eine Flamme in einer bronzenen Schale.
    Auf der Steinplatte standen die Worte: Unbekannt ist dein Grab, unsterblich dein Verdienst.
    »Ich möchte, daß du mir etwas versprichst, Junge«, hatte der Oberst gesagt.
    »Ja, Onkel.«
    »Zwischen hier und Berlin liegen Millionen von ihnen. Wir wissen nicht, wo sie liegen, oft nicht einmal, wer sie waren. Aber sie haben mit mir gekämpft, und sie waren tapfere Männer. Verstanden?«
    »Ja, Onkel.«
    »Was man dir auch verspricht, ob Geld, Beförderung oder Ehre, ich möchte nicht, daß du diese Männer jemals verrätst.«
    »Ich verspreche es, Onkel.«
    Langsam hob der Oberst seine Hand an den Mützenrand. Der Kadett machte es ihm nach. Einige vorbeispazierende Provinzler lutschten an ihrem Eis und betrachteten die beiden neugierig. Ihr Führer, der ihnen erzählen sollte, was für ein großer Mann Lenin gewesen war, schien offensichtlich verlegen und scheuchte sie um die nächste Ecke zum Mausoleum.
    »Hab' letztens den Artikel in der
Iswestija
gelesen«, sagte Mischa Andrejew. »Hat in der Kaserne

Weitere Kostenlose Bücher