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Das schwarze Manifest

Das schwarze Manifest

Titel: Das schwarze Manifest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederick Forsyth
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weniger von denen, desto besser«, meinte Vincent und fing an, die beiden falschen Pässe zu zerreißen. Die Schnipsel würden durch die Toilette gespült und über den Schnee des südlichen Rußland verstreut werden. Einer zum Reinkommen, einer zum Rauskommen. Die Pässe für den Rückweg mit ihren hübschen Einreisestempeln hatten sie gut versteckt.
    Vincent starrte Sir Nigel neugierig an. Er war dreiunddreißig, und ihm war klar, daß der alte Mann biologisch gesehen nicht nur sein Vater, sondern sogar sein Großvater sein konnte. Als ehemaliger Soldat einer Spezialeinheit hatte er schon oft in schwierigen Situationen gesteckt, nicht zuletzt damals, als er im Westirak in der Wüste lag und darauf wartete, einer vorbeizischenden Scudrakete eine verpassen zu können. Aber immer hatte es Kameraden gegeben, ein Gewehr, Handgranaten, eine Möglichkeit zurückzuschlagen.
    Die Welt, in die Sir Nigel Irvine ihn – wenn auch für eine ziemlich große Summe – gelockt hatte, war eine Welt voller Tarnungen, Fehlinformationen und endloser Vorspiegelungen, so daß er sich nach einem doppelten Wodka sehnte. Zum Glück war in seiner Tasche noch eine zweite Flasche aus dem Sondervorrat. Er bediente sich.
    »Sie auch, Sir Nigel?«
    »Nein, für mich nicht«, sagte Irvine. »Brennt in der Kehle und läßt den Magen rebellieren. Aber ich stoß gern mit etwas anderem an.«
    Er holte eine silberne Taschenflasche aus seinem Attachekoffer, schraubte sie auf, goß die silberne Becherkappe voll, stieß mit Vincent an und probierte vorsichtig. Es war Mr. Trubshaws Vintage-Port aus dem St. James's Club.
    »Ich glaube, Ihnen gefällt diese ganze Geschichte sogar«, sagte der einstige Sergeant.
    »Mein lieber Junge, soviel Spaß habe ich seit Jahren nicht mehr gehabt.«
    Kurz nach Anbruch der Dämmerung fuhr der Zug in den Moskauer Bahnhof ein. Draußen waren es fünfzehn Grad unter Null.
    Mag ein Bahnhof im Winter jenen, die einem warmen Herd entgegeneilen, auch noch so trostlos erscheinen, so ist es in ihm doch immer noch wärmer als draußen auf der Straße. Als Sir Nigel und Vincent aus dem Kiewer Nachtexpreß stiegen, drängten sich in der Bahnhofshalle der Station Kursk die frierenden und hungernden Armen der Stadt.
    Sie schoben sich so dicht wie möglich an die warmen Maschinen heran, versuchten, die Wärme zu nutzen, die hin und wieder beim Öffnen der Tür aus einem Cafe drang, oder lagen einfach auf dem Beton und hofften darauf, eine weitere Nacht zu überleben.
    »Bleiben Sie so dicht wie möglich bei mir«, murmelte Vincent, als sie zur Fahrscheinkontrolle gingen, hinter der sich die Halle öffnete. Als sie zum Taxistand eilten, drängten sich einige Obdachlose mit ausgestreckten Händen, in Schals gehüllten Köpfen, unrasierten Gesichtern und eingesunkenen Augen an sie heran.
    »Gütiger Himmel, wie schrecklich«, murmelte Sir Nigel.
    »Lassen Sie bloß Ihr Geld stecken, sonst gibt es noch einen Aufstand«, fauchte sein Leibwächter. Trotz seines Alters trug Sir Nigel seine Tasche und seinen Attachekoffer selbst, so daß Vincent eine Hand frei hatte. Der einstige Soldat der Special Forces schob diese Hand unter seine linke Achselhöhle, um anzudeuten, daß er eine Waffe trug und sie auch zu benutzen wußte.
    So trieb er den alten Mann vor sich her zum Bürgersteig, an dem hoffnungsvoll einige Taxen warteten. Als er eine bettelnde Hand aus der Menge zur Seite drängte, hörte Sir Nigel hinter sich die Stimme ihres Besitzers: »Ausländer. Verdammte Ausländer!«
    »Das rufen sie bloß, weil sie uns für reich halten«, flüsterte Vincent ihm ins Ohr. »Wir sind Ausländer, also sind wir reich.«
    Die Schreie folgten ihnen nach. »Verfluchtes Ausländerpack. Wartet nur, bis Komarow kommt.«
    Als sie im klapprigen Taxi saßen, lehnte Irvine sich im Sitz zurück und meinte: »Daß es so schlimm geworden ist, habe ich nicht gewußt. Beim letztenmal bin ich einfach vom Flughafen zum National und wieder zurückgefahren.«
    »Wir sind mitten im tiefsten Winter, Sir Nigel. Im Winter ist es immer schlimmer.«
    Als sie vom Vorplatz fuhren, bog ein Militärlaster vor ihnen ein. Zwei Männer der Miliz in ihren schweren Mänteln und
Pelzschapkas
saßen mit versteinertem Gesicht vorn im warmen Führerhaus. Der Laster brauste davon, und sie konnten einen Blick auf die Ladefläche werfen.
    Reihenweise Beine, lumpenumwickelte Füße wurden kurz sichtbar, als die Plane einen Augenblick zur Seite wehte. Leichen, steinhart gefrorene Leichen, wie

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