Das schwarze Manifest
aber war der Anfang dessen gewesen, was ihn weniger wütend als vielmehr verwirrt zurückgelassen hatte.
Er verachtete die Kirche und alle ihre Priester, also hatte er auch nie damit gerechnet, daß die Staatsorgane den Patriarchen und seine verrückte Idee, die Monarchie wieder einführen zu wollen, ernst nehmen konnten. Außerdem wollte er einfach nicht glauben, daß Alexei II. nennenswerten Einfluß auf die Menschen Rußlands besaß.
Hatten sie, die Menschen Rußlands, nicht
ihm
die Treue geschworen? Erwarteten sie denn nicht von ihm ihr Heil, eine neue Ordnung, die Säuberung ihres russischen Landes? Was brauchten sie einen Gott, wenn sie ihn, Igor Wiktorowitsch Komarow, hatten?
Er begriff, warum sich der Jude Bernstein gegen ihn gewandt hatte. Wenn ihm der lästige Amerikaner das Manifest gezeigt hatte, dann war begreiflich, warum er derartige Konsequenzen zog. Doch warum der General? Warum hatte Nikolajew ihn derart angeschwärzt? Hatte er nicht begriffen, welch glorreiche Zukunft die russische Armee erwartete? Hatte der Held von Kursk und Bagration sich wirklich Sorgen um Juden und Tschetschenen gemacht?
Das Interview in der
Iswestija
und das Ende der Berichterstattung hatten ihm jenen doppelten Schlag versetzt, durch den er erst begriff, welche Stärke und Bandbreite die Allianz gegen ihn besaß.
Dann waren da noch die Dolgoruki, die durch die Razzien bis aufs Blut gereizt worden waren, und schließlich noch die Presse. Sie alle würde er später sowieso unterdrücken: die Kirche, die Mafia, die freie Presse, die Juden, die Tschetschenen und die Ausländer sie alle würden büßen müssen.
»Es war falsch, die vier Attentatsversuche zu unternehmen«, sagte er schließlich.
»Bei allem Respekt, Gospodin Präsident, es war taktisch durchaus vernünftig. Wir haben einfach nur fürchterlich Pech gehabt, weil drei von den vier Opfern gerade nicht zu Hause waren.«
Komarow grunzte. Pech vielleicht, aber die Folgen waren katastrophal gewesen. Woher wußte die Presse nur, daß er hinter den Anschlägen steckte? Wer hatte es ihr verraten? Die Medien hatten ihm immer an den Lippen gehangen; und jetzt beschimpften sie ihn. Die Pressekonferenz war eine Katastrophe gewesen. Diese Ausländer schrien einfach ihre unverschämten Fragen in die Menge. Noch nie hatte er sich solche Frechheiten gefallen lassen müssen. Dafür hatte Kusnezow stets gesorgt. In seinen Interviews hatte man ihn immer mit äußerstem Respekt behandelt, hatte sich aufmerksam seine Ansichten angehört und verständnisvoll mit dem Kopf genickt. Und dann hatte dieser junge Narr eine Pressekonferenz vorgeschlagen…
»Ist Ihre Quelle sicher, Oberst?«
»Ja, Gospodin Präsident.«
»Vertrauen Sie dem Mann?«
»Natürlich nicht. Ich verlasse mich nur auf seine Gier. Er ist käuflich und korrupt, aber er strebt ein hohes Amt an und sehnt sich nach dem Leben eines Lüstlings, und beides ist ihm versprochen worden. Er hat mir beide Besuche des englischen Spions beim Patriarchen verraten, ebenso beide Treffen mit dem amerikanischen Agenten. Sie haben die Mitschrift der Aufnahme vom zweiten Treffen mit Monk gelesen, die Drohungen, die mich zu dem Entschluß veranlaßten, die Opposition endgültig zum Schweigen zu bringen.«
»Aber diesmal. glauben Sie wirklich, die besitzen die Unverfrorenheit, gegen uns loszuschlagen?«
»Ich glaube nicht, daß wir die Möglichkeit außer acht lassen dürfen. Jetzt wird mit harten Bandagen gekämpft, um es mit einem Ausdruck aus der Boxersprache zu sagen. Unser Idiot von amtierendem Präsidenten weiß selbst, daß er vielleicht gegen Sjuganow, aber niemals gegen Sie gewinnen kann. Und die Generäle der Miliz haben in letzter Sekunde begriffen, welche Säuberung ihnen nach Ihrer Wahl bevorsteht. Aus dem Vorwurf einer finanziellen Verbindung zwischen der UPK und der Mafia könnten sie sich eine Anklage zurechtzimmern. Ja, ich glaube, sie könnten es wirklich versuchen.«
»Wären Sie an ihrer Stelle, Oberst, was würden Sie tun?«
»Genau das gleiche. Als mir der Priester erzählte, worüber der Patriarch beim Essen gesprochen hat, da glaubte ich, das kann nicht wahr sein, doch je länger ich darüber nachdenke, um so logischer scheint es mir zu sein. Der erste Januar bei Tagesanbruch, ein brillant gewählter Zeitpunkt. Wer hat da keinen Kater vom Abend zuvor? Welche Posten sind da noch wach? Wer kann da schnell und entschieden reagieren? Die meisten Russen können am Neujahrstag nicht mal klar sehen – falls sie
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