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Das schwarze Manifest

Das schwarze Manifest

Titel: Das schwarze Manifest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederick Forsyth
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eigentlich vorhatte.
    Während Martti ungesehen über ihre Köpfe davonflog, besprachen sich Igor Komarow und Anatoli Grischin im Büro des Parteivorsitzenden. Bis auf diese beiden Männer war das kleine Haus leer, in dem das Hauptquartier der Partei untergebracht war, von den Posten im Wachraum der unteren Etage einmal abgesehen. Durch die Dunkelheit draußen streiften die Killerhunde.
    Komarow saß an seinem Tisch und sah im Lampenlicht aschfahl aus. Grischin hatte gerade zu sprechen aufgehört und dem Führer der Union Patriotischer Kräfte mitgeteilt, welche Neuigkeiten er von seinem klerikalen Spitzel erhalten hatte.
    Als er das Wort ergriff, schien Komarow in sich zusammenzusinken. Die einst eisige Kontrolle versagte, die blitzschnelle Entschlossenheit schien ihn verlassen zu haben. Grischin kannte diese Anzeichen.
    Es geschah den schrecklichsten Diktatoren, wenn ihnen die Macht plötzlich genommen wurde. Mussolini, dieser herumstolzierende Duce, war 1944 über Nacht zu einem elenden, verängstigten kleinen Mann auf der Flucht geworden.
    Wenn die Banken ihre Darlehen aufkündigten, der Jet konfisziert wurde, die Limousinen gepfändet, die Kreditkarten einbehalten wurden, der engste Mitarbeiterstab kündigte und das Kartenhaus einstürzte, dann schienen einstige Geschäftsmagnate tatsächlich kleiner zu werden, und ihre alte Entschlossenheit wurde zu leerem Gehabe.
    Grischin kannte die Anzeichen, weil er Generäle und Minister in ihren Zellen gesehen und erlebt hatte, wie die einst mächtigen Drahtzieher des Apparats dort kauerten und nur noch auf das erbarmungslose Urteil der Partei warteten.
    Die Welt um sie herum fiel auseinander, die Tage der Worte waren vorbei, die eigene Stunde war gekommen. Er hatte Kusnezow immer verachtet, der sich seine Welt aus Worten und Bildern schuf und glaubte, daß ein offizielles Kommunique Macht verkörperte. In Rußland kam alle Macht aus Gewehrläufen, das war immer so gewesen und würde immer so sein. Ironischerweise hatte es jenes Mannes bedurft, den er wie keinen anderen Menschen auf der Welt haßte, diesen amerikanischen Scarlet Pimpernell, um die gegenwärtige Lage herbeizuführen, in der der Präsident der UPK all seinen Willen verloren und beinahe bedingungslos bereit schien, Grischins Rat zu befolgen.
    Denn Anatoli Grischin hatte keineswegs die Absicht, sich der Miliz oder dem amtierenden Präsidenten Iwan Markow auszuliefern. Er konnte auf Igor Komarow nicht verzichten, aber er konnte seinen Kopf retten und so zu unerhörter Macht aufsteigen.
    Gefangen in seiner Welt, saß Igor Komarow wie Richard II. da und sinnierte über die Katastrophe, die in so kurzer Zeit über ihn hereingebrochen war. Er konnte diesen Wandel einfach nicht verstehen, vermochte gerade noch zu begreifen, wie er sich Schritt für Schritt vollzogen hatte.
    Anfang November hatte es noch so ausgesehen, als wenn keine Macht auf Erden ihn davon abhalten konnte, die Wahlen im Januar zu gewinnen. Seine politische Organisation arbeitete weit effizienter als jede andere im Land; seine Redegewalt schlug die Massen in ihren Bann. Meinungsumfragen zeigten, daß er siebzig Prozent der Stimmen im Land bekommen würde, ein klarer Sieg im ersten Wahlgang.
    Seine politischen Gegner wirkten demoralisiert und zogen sich entweder zurück, da ihnen die Mittel ausgingen, oder verzweifelten angesichts seines Vorsprungs. Wer Beförderung oder seine Gunst für die Zeit nach dem sicheren Wahlsieg suchte, kam zu ihm, um ihn zu umwerben. Im November schien sein politischer Triumph bereits Tatsache zu sein.
    Der Diebstahl des Schwarzen Manifests war zuerst höchst beunruhigend gewesen, doch als in den Wochen nach Mitte Juli nichts geschah, hatte er sich wieder gefaßt. Die Schuldigen waren bestraft, der allzu clevere Journalist aus dem Ausland war zum Schweigen gebracht worden. Dann war monatelang nichts geschehen, und er hatte seinen Marsch auf das höchste Amt des Landes fortgesetzt.
    Daß ein einzelner ausländischer Agent, dessen Gesicht er von einem Foto kannte, ihm ernstlich Schaden zufügen konnte, hatte er damals einfach nicht glauben wollen. Die Zerstörung der Druckerpressen und die Einstellung seiner Zeitschriften und Zeitungen waren zwar überaus ärgerlich, aber durchaus nicht lebensbedrohlich gewesen. Sabotage und Gewalt zählten zu den festen Bestandteilen eines russischen Lebens, doch war Oberst Grischin auf seinen Befehl hin bislang immer damit fertig geworden. Das Ende der Berichterstattung im Fernsehen

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