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Das schwarze Manifest

Das schwarze Manifest

Titel: Das schwarze Manifest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederick Forsyth
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nicht.«
    Marchbanks überlegte angestrengt. War das Schwarze Manifest eine Fälschung und ein Schwindel, hatte der SIS schwere Nachteile zu erwarten, wenn er es ernst nahm. Erwies es sich als echt, waren die Nachteile noch schwerwiegender, wenn es nicht ernstgenommen wurde.
    »Ich glaube«, sagte er zuletzt, »das möchte ich dem Controller, vielleicht sogar dem Chef zeigen.«
    David Brownlow, der Controller Eastern Hemisphere, sprach um zwölf Uhr mit ihnen, und der Chef bat alle drei um Viertel nach eins zum Mittagessen in sein holzgetäfeltes Speisezimmer im obersten Stock, von dem aus man einen wunderbaren Panoramablick über die Themse und die Vauxhall Bridge hatte.
    Sir Henry Coombs war noch nicht ganz sechzig und in seinem letzten Jahr als SIS-Chef. Wie seine Vorgänger ab Maurice Oldfield hatte er im Dienst Karriere gemacht und sich seine Fähigkeiten im kalten Krieg erworben, der vor einem Jahrzehnt zu Ende gegangen war. Im Gegensatz zur CIA, deren Direktoren stets nach politischen Kriterien ernannt und nicht immer geeignet waren, hatte der SIS es drei Jahrzehnte lang verstanden, Premierminister dazu zu überreden, ihm einen Chef zu geben, der den Dienst aus Erfahrung kannte.
    Und das funktionierte. Nach 1985 hatten drei aufeinanderfolgende CIA-Direktoren eingestanden, kaum über das wahrhaft katastrophale Ausmaß der Affäre Ames unterrichtet worden zu sein, bis sie die Zeitungen gelesen hatten. Henry Coombs genoß das Vertrauen seiner Untergebenen und kannte alle Einzelheiten, die er wissen mußte. Und seine Leute wußten, daß er informiert war.
    Er las das Manifest, während er seine Vichyssoise löffelte. Er war jedoch ein schneller Leser und nahm alles in sich auf.
    »Für Sie ist das sicher sehr ermüdend, Jock, aber erzählen Sie mir alles noch mal.«
    Coombs hörte aufmerksam zu, stellte zwei kurze Fragen und nickte dann. »Ihre Meinung, Jeffrey?«
    Nach dem Leiter der Rußlandabteilung fragte er Brownlow, den Controller East. Beide äußerten sich etwa gleichlautend. Ist das Manifest echt? Das müssen wir rausbekommen.
    »Was mich verblüfft«, sagte Brownlow, »ist einfach folgendes: Warum hat Komarow das alles niedergeschrieben, wenn das seine wahren politischen Ziele sind? Wie wir wissen, können selbst streng geheime Dokumente gestohlen werden.«
    Sir Henry Coombs täuschend milder Blick ruhte auf dem Moskauer Stationsleiter. »Irgendwelche Ideen, Jock?«
    Macdonald zuckte mit den Schultern. »Warum bringt jemand seine geheimsten Gedanken und Pläne zu Papier? Warum bekennen Leute das Unbekennbare in ihren Tagebüchern? Warum führen Menschen peinlich intime Aufzeichnungen? Warum speichern selbst Dienste wie unserer ihr allergeheimstes Material? Vielleicht ist das hier eine Denkschrift für den innersten Führungskreis gewesen – oder eine Art Selbsttherapie. Oder vielleicht ist das Ganze nur eine Fälschung, die dem Mann schaden soll. Ich weiß es nicht.«
    »Ah, sehen Sie?« sagte Sir Henry. »Wir wissen es nicht. Aber nachdem ich das Manifest gelesen habe, finde ich auch, daß wir's wissen müssen. So viele Fragen. Wie zum Teufel ist dieses Machwerk entstanden? Stammt es wirklich von Igor Komarow? Ist dieser erschreckende Schwall von Verrücktheiten ein Programm, das er verwirklichen will, falls oder vielmehr sobald er an die Macht kommt? Und falls diese Denkschrift von ihm stammt – wie ist sie gestohlen worden, wer hat sie entwendet, warum ist sie gerade uns zugespielt worden? Oder besteht sie nur aus einer Ansammlung von Lügen?«
    Er rührte seinen Kaffee um und starrte die beiden Dokumente, das Original und Macdonalds Übersetzung, zutiefst angewidert an. »Sorry, Jock, aber wir brauchen die Antworten auf diese Fragen. Bevor wir sie nicht haben, kann ich damit nicht nach oben gehen. Vielleicht nicht mal dann. Für Sie heißt's, zurück nach Moskau, Jock. Ich weiß nicht, wie Sie das schaffen wollen; das ist Ihre Sache. Aber wir müssen's wissen.«
    Der SIS-Chef hatte wie alle seine Vorgänger zwei Aufgaben. Die eine war professionell: Er hatte nach Kräften dafür zu sorgen, daß der Nation der bestmögliche Geheimdienst zur Verfügung stand. Die andere war politisch: Er mußte Verbindung zum Joint Intelligence Committee halten, in dem die manchmal schwierigen Mandarine ihres Hauptkunden – des Außenministeriums – saßen, beim Kabinettsamt um Haushaltsmittel kämpfen und unter den Politikern, aus denen die Regierung bestand, Freundschaften kultivieren. Diese vielschichtige

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