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Das schwarze Manifest

Das schwarze Manifest

Titel: Das schwarze Manifest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederick Forsyth
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an, das die Straße entlangraste und kurz hielt, um sie einsteigen zu lassen.
    Die Entführung war absichtlich vor einer Straßenecke inszeniert worden, um die der Lieferwagen verschwand, um sofort in eine Gasse abzubiegen. Nun fuhr der identische Transit vom Randstein weg, so daß die Russen hinter der Straßenecke einen weißen Lieferwagen sahen, den sie verfolgten. Als er nach vielen Kilometern Fahrt endlich umringt und angehalten wurde, bestand seine Ladung nur aus Frischgemüse für die Botschaft. Der Transit mit Gordiewski war längst in der Botschaft in Sicherheit.
    Dort hatte ein Team von Instandsetzungssoldaten einen Landrover mit langem Radstand so umgebaut, daß über der Kardanwelle ein schmaler Hohlraum entstand. In dieses Versteck wurde der Russe gezwängt, bevor der Landrover zwei Tage später nach Finnland abfuhr. Trotz diplomatischer Immunität wurde er auf der sowjetischen Seite der Grenze angehalten und durchsucht – allerdings ergebnislos. Eine Stunde später wurde ein sehr steifer Oleg Gordiewski tief in den finnischen Wäldern aus seinem Gefängnis befreit und nach Helsinki gebracht.
    Einige Tage später wurde seine Flucht bekannt. Das sowjetische Außenministerium bestellte den britischen Botschafter ein, der Haltung bewahrte und seinem Gesprächspartner erklärte, er wisse gar nicht, wovon die Rede sei.
    Innerhalb weniger Monate war Gordiewski in Washington, wo er bei der CIA auspackte. Zu seinen Befragern gehörte Aldrich Ames: äußerlich lächelnd, aber innerlich steif vor Angst. Was – falls überhaupt etwas – wußte der Russe über einen amerikanischen Verräter? Zu Ames' Glück nichts. Niemand ahnte etwas von ihm.
    Jeffrey Marchbanks glaubte, eine Möglichkeit gefunden zu haben, seinem Kollegen in Moskau bei dem Versuch zu helfen, das Schwarze Manifest zu verifizieren oder als Schwindelprodukt zu entlarven.
    Zu Macdonalds Problemen gehörte, daß er keine vernünftige Möglichkeit hatte, sich Zugang zu Igor Komarow persönlich zu verschaffen. Nach Marchbanks Einschätzung würde ein ausführliches Exklusivinterview mit dem Vorsitzenden der Union Patriotischer Kräfte irgendwelche Hinweise darauf liefern, ob sich unter dem Lack dieses Mannes, der sich als zugegebenermaßen rechten Konservativen und Nationalisten darstellte, das Gedankengut eines fanatischen Nazis verbarg.
    Marchbanks glaubte, jemanden zu kennen, der dieses Interview bekommen würde. Im Winter hatte er an einer Fasanenjagd teilgenommen, bei der einer der Jagdgäste der neue Chefredakteur der führenden konservativen Tageszeitung Englands gewesen war. Am einundzwanzigsten Juli rief er den Chefredakteur an, erinnerte ihn an ihre gemeinsame Fasanenjagd und vereinbarte mit ihm, daß sie sich am nächsten Tag in seinem Club in der St. James's Street zum Mittagessen treffen würden.
Moskau, Juli 1985
    In Moskau löste Gordiewskis geglückte Flucht eine lautstarke Auseinandersetzung aus. Sie fand am letzten Tag des Monats im Arbeitszimmer des KGB-Vorsitzenden im zweiten Stock der KGB-Zentrale am Dserschinskiplatz statt.
    Das Büro war ein düsterer Raum, in dem einige der blutrünstigsten Ungeheuer gehaust hatten, die unser Planet je erlebt hat. Jagoda und nach ihm Jeschow hatten hier gesessen und Stalins Befehle ausgeführt, den Boden Rußlands mit dem Blut von Millionen zu tränken. Berija, der psychopathische Päderast, war ihnen nachgefolgt, und später waren Serow, Semischastni und der vor kurzem verstorbene Juri Andropow, der dieses Amt länger als jeder andere innegehabt hatte – fünfzehn Jahre von 1963 bis 1978 –, seine Nachfolger gewesen.
    An dem T-förmigen Schreibtisch waren Befehle unterzeichnet worden, die bewirkt hatten, daß Männer unter der Folter brüllten, in den Schneewüsten Sibiriens den Erfrierungstod starben oder auf einem kahlen Innenhof kniend durch Genickschuß erledigt wurden.
    Über solche Machtfülle verfügte General Wiktor Tschebrikow nicht mehr ganz. Die Zeiten änderten sich, und Hinrichtungsbefehle mußten heutzutage vom Generalsekretär persönlich genehmigt werden. Aber für Verräter wurden sie noch immer unterzeichnet, und die heutige Besprechung würde dafür sorgen, daß weitere ausgestellt wurden.
    Sehr in der Defensive vor dem Schreibtisch des Vorsitzenden war Wladimir Krjutschkow, der Leiter der Ersten Hauptverwaltung, dessen Männer kläglich versagt hatten. In der Offensive befand sich der Leiter der Zweiten Hauptverwaltung, der kleine, stämmige, breitschultrige General

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