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Das schwarze Manifest

Das schwarze Manifest

Titel: Das schwarze Manifest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederick Forsyth
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158 durch und nahm einige handschriftliche Änderungen vor. Er dachte gar nicht daran, seine ohnehin überlastete Sekretärin zu bitten, den Bericht erneut abzuschreiben; die Schafsköpfe im Morddezernat sollten selbst sehen, wie sie damit zurechtkamen.
    Für ihn bestand kein Zweifel daran, daß sein Bericht ans Morddezernat gehen mußte. Er versuchte, den Kriminalbeamten möglichst viel Arbeit zu ersparen, indem er in Zweifelsfällen möglichst auf »Unfalltod« oder »natürliche Ursachen« erkannte. Dann konnten die Verwandten die Leiche abholen und beisetzen lassen, während ein unbekannter Toter im Leichenhaus bleiben mußte, bis die gesetzlich vorgeschriebene Frist abgelaufen war. Er würde die Vermißtenstelle benachrichtigen, und falls die Leiche nicht identifiziert werden konnte, würde sie auf Kosten des Moskauer Oberbürgermeisters ein Armengrab erhalten oder im Seziersaal enden.
    Aber Nummer 158 war ermordet worden, das stand fest. Außer bei Fußgängern, die unter einen daherrasenden Lastwagen gekommen waren, hatte er noch nie so viele innere Verletzungen gesehen. Ein einziger Aufprall, selbst gegen einen Lastwagen, hätte sie unmöglich alle hervorrufen können. Vermutlich sah jemand, der von einer Büffelherde zertrampelt worden war, so ähnlich aus, aber in Moskau gab es nur wenige Büffel, die zudem nicht Kopf und Beine ausgespart hätten. Nein, auf Nummer 158 war zwischen Hals und Hüften beidseitig unzählige Male mit stumpfen Gegenständen eingeschlagen worden.
    Als er mit seinen Anmerkungen fertig war, unterschrieb er den Bericht, fügte das Datum dritter August 1999 hinzu und legte das Schriftstück in den Ausgangskorb.
    »Morddezernat?« fragte seine Sekretärin munter.
    »Morddezernat, Identifizierungsstelle«, bestätigte Kusmin. Sie tippte die Adresse auf einen hellbraunen Umschlag, schob den Autopsiebericht hinein und legte den Umschlag neben ihre Handtasche. Heute abend auf dem Heimweg würde sie ihn beim Pförtner abgeben, der in seiner Pförtnerloge im Erdgeschoß hauste, und dieser würde ihn am nächsten Morgen dem Ausfahrer mitgeben, der Unterlagen des Instituts zu allen möglichen Moskauer Stellen brachte.
    Unterdessen lag die Leiche 158, der jetzt nicht nur die Augen, sondern auch die meisten Eingeweide fehlten, in eisiger Dunkelheit.
Langley, März 1986
    Carey Jordan stand am Fenster und starrte auf seine liebste Aussicht hinaus. Um diese Zeit Ende März legten sich die ersten zarten Grünschleier über den Wald zwischen CIA-Hauptgebäude und Potomac River. Bald würde das Glitzern des Wassers, das im Winter wegen der unbelaubten Bäume stets sichtbar war, wieder verschwunden sein. Er liebte Washington; es besaß mehr Wälder, Parks, Bäume und Gärten als jede andere amerikanische Großstadt, die er kannte, und das Frühjahr war für ihn immer die schönste Jahreszeit.
    Zumindest war es das bisher gewesen. Das Frühjahr 1986 erwies sich als reinster Alptraum. Sergei Bochan, der GRU-Offizier, den die CIA in Athen geführt hatte, hatte bei wiederholten Befragungen unmißverständlich erklärt, seiner Überzeugung nach wäre er bei einer Rückkehr nach Moskau vor ein Erschießungskommando gestellt worden. Das konnte er nicht beweisen, aber die Begründung seines Vorgesetzten für die Aufforderung, nach Moskau zurückzukehren – die schlechten Noten seines Sohns auf der Militärakademie –, war schlichtweg eine Lüge gewesen. Folglich war er enttarnt worden. Da er selbst keine Fehler gemacht hatte, war er davon überzeugt, verraten worden zu sein.
    Da Bochan zu den ersten drei Agenten gehört hatte, die in Schwierigkeiten geraten waren, war die CIA zunächst skeptisch gewesen. Jetzt waren ihre Zweifel weitgehend beseitigt. Fünf weitere Agenten in aller Welt waren ungewöhnlicherweise vorzeitig nach Moskau zurückgerufen worden und schienen sich in Luft aufgelöst zu haben.
    Das machte sechs. Mit Gordiewski, der für die Briten gearbeitet hatte, waren es sogar sieben. Fünf weitere Agenten, die in der UdSSR stationiert gewesen waren, waren ebenfalls verschwunden. Alle wichtigen Quellen, die jahrelange harte Arbeit, Geduld und Listenreichtum verkörperten und hohe Beträge an Steuergeldern verschlungen hatten, waren jetzt versiegt. Bis auf zwei.
    Hinter ihm saß Harry Gaunt, der Leiter der Abteilung SO, die das Hauptopfer, nein, im Augenblick das einzige Opfer des Virus war, in Gedanken versunken da. Er war gleich alt wie der stellvertretende Direktor; die beiden hatten sich

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