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Das schwarze Manifest

Das schwarze Manifest

Titel: Das schwarze Manifest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederick Forsyth
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verschwundenen Angehörigen identifizieren und abholen konnte.
    War das Tatmotiv nicht Raub, hatte der Tote meistens noch seinen
pasport
in irgendeiner Tasche, so daß die Akte ohnehin nicht auf Wolskis Schreibtisch landete. Auch die vielen Obdachlosen, die ihren Ausweis wegwarfen, weil er zeigte, woher sie kamen, und die nicht von der Miliz in ihren Heimatort zurücktransportiert werden wollten, aber trotzdem auf den Straßen Moskaus an Kälte oder Alkohol starben, gingen Wolski nichts an. Er war nur für eindeutige Tötungsdelikte unbekannter Personen gegen unbekannte Personen zuständig. Das war, so sagte er sich, eine exklusive, aber ziemlich vergebliche Beschäftigung.
    Diese Akte vom vierten August war anders als die meisten. Raub als Tatmotiv schied praktisch aus. Ein Blick in den Auffindungsbericht des Bezirks West zeigte ihm, daß ein Pilzsammler die Leiche knapp innerhalb der Stadtgrenze in einem Wald an der Fernstraße nach Minsk aufgefunden hatte. Hundert Meter von der Straße entfernt – also auch kein Verkehrsunfall mit Fahrerflucht.
    Die Auflistung des persönlichen Eigentums war deprimierend. Der Tote hatte getragen (von unten nach oben): Schuhe, Kunstleder, billig, rissig, abgetreten; Socken, billig, Massenartikel, stark verschmutzt; Unterhose, dito; Hose, dünn, schwarz, speckig; Gürtel, Kunstleder, abgetragen. Das war alles. Kein Hemd, keine Krawatte oder Jacke. Das einzige weitere Kleidungsstück war ein in der Nähe aufgefundener langer Mantel, der als sehr zerschlissener ehemaliger Militärmantel aus den fünfziger Jahren beschrieben wurde.
    Ganz unten stand eine kurze Anmerkung. Tascheninhalt null, wiederhole null. Keine Uhr, kein Ring, keinerlei persönliches Eigentum.
    Wolski betrachtete das am Fundort aufgenommene Foto. Irgend jemand hatte dem Toten barmherzigerweise die Augen geschlossen.
    Ein hageres, unrasiertes Gesicht, wahrscheinlich Mitte Sechzig, aber zehn Jahre älter aussehend. Ausgezehrt, das war das zutreffende Wort – auch schon zu Lebzeiten.
    Armes altes Schwein, dachte Wolski,
dich
hat garantiert keiner wegen deines Schweizer Bankkontos umgelegt. Er schlug Kusmins Autopsiebericht auf. Nach den ersten Absätzen drückte er fluchend seine Zigarette aus.
    »Warum können diese Eierköpfe kein verständliches Russisch schreiben?« fragte er die Wand – übrigens nicht zum erstenmal. Ständig war von Lazerationen und Kontusionen die Rede; sagt doch einfach, daß ihr Schnitte und Quetschungen meint, dachte er.
    Auch nachdem er sich durch alle Fachausdrücke hindurchgearbeitet hatte, blieben einige Aspekte unklar. Deshalb wählte er die auf dem Dienstsiegel des Zweiten Medizinischen Instituts angegebene Nummer. Er hatte Glück. Georgi Kusmin war an seinem Schreibtisch.
    »Professor Kusmin?« fragte er.
    »Am Apparat. Wer sind Sie?«
    »Inspektor Wolski, Morddezernat. Ich habe Ihren Autopsiebericht Nummer einsfünfacht vor mir liegen.«
    »Schön für Sie.«
    »Darf ich ganz offen sein, Professor?«
    »Das wäre heutzutage eine erfreuliche Ausnahme.«
    »Es geht nur darum, daß ein paar Dinge recht kompliziert ausgedrückt sind. Sie schreiben von massiven Quetschungen an beiden Oberarmen. Können Sie mir sagen, was sie hervorgerufen hat?«
    »Nicht als Pathologe – da sind's lediglich Quetschungen. Aber unter uns gesagt stammen die Abdrücke von Fingern.«
    »Jemand hat ihn an den Armen gepackt?«
    »Jemand hat ihn hochgehalten, mein lieber Inspektor. Zwei starke Männer haben den armen Kerl hochgehalten, während andere ihn zusammengeschlagen haben.«
    »Er ist also mit Fäusten mißhandelt worden? Ohne irgendwelche Maschinen?«
    »Wären Kopf und Beine ähnlich zugerichtet, würde ich sagen, er sei aus einem Hubschrauber gestoßen worden. Und nicht aus einem tief fliegenden Hubschrauber. Aber jeder Aufprall auf den Erdboden oder ein Zusammenprall mit einem Lastwagen hätte auch Kopf- und Beinverletzungen bewirkt. Nein, er ist zwischen Hals und Hüften unzählige Male mit harten, stumpfen Gegenständen geschlagen worden.«
    »Todesursache… Ersticken?«
    »So steht's in meinem Bericht, Inspektor.«
    »Entschuldigung, er ist zu Brei geschlagen worden – aber erstickt?«
    Kusmin seufzte. »Bis auf eine sind alle seine Rippen gebrochen. Einige sogar mehrfach. Zwei sind in seine Lungen eingedrungen und haben eine Blutung ausgelöst, die zum Tod geführt hat.«
    »Er ist an seinem eigenen Blut erstickt, meinen Sie?«
    »Genau das habe ich Ihnen zu erklären versucht.«
    »Tut

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