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Das schwarze Manifest

Das schwarze Manifest

Titel: Das schwarze Manifest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederick Forsyth
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den Brennpunkten der Weltpolitik gewesen war, kam nach zwei Stunden zurück. Er wirkte ziemlich verstimmt.
    Er war bisher zweimal in Moskau gewesen – einmal während der kommunistischen Herrschaft und dann wieder vor acht Jahren, als Jelzin gerade an die Macht gekommen war. In beiden Fällen hatten seine Erfahrungen sich auf das Taxi vom Flughafen, ein erstklassiges Hotel und Kreise der britischen Botschaft beschränkt. Er hatte Moskau schon immer für eine unattraktive, schmutzige Stadt gehalten, aber auf seine Erlebnisse an diesem Morgen war er nicht vorbereitet gewesen.
    Seine Erscheinung war so unverkennbar ausländisch gewesen, daß er selbst auf den Flußkais und im Alexandergarten von Obdachlosen, die überall zu kampieren schienen, belagert worden war. Zweimal hatte er gefürchtet, von Jugendbanden verfolgt zu werden. Die einzigen Autos schienen Militärfahrzeuge, Streifenwagen und die Limousinen der Reichen und Privilegierten zu sein. Trotzdem, fand er, hatte er einige wichtige Argumente für sein abendliches Gespräch für Mr. Komarow gesammelt.
    Bei einem Drink vor dem Mittagessen – er hatte beschlossen, im Hotel zu bleiben, bis er abends abgeholt wurde – war er außer einem welterfahrenen kanadischen Geschäftsmann der einzige Gast in der Bar. Wie es Fremde in einer Bar manchmal tun, begannen sie aus Langeweile ein Gespräch.
    »Sind Sie schon lange hier?« fragte der Mann aus Toronto.
    »Bin gestern abend angekommen«, sagte Jefferson.
    »Bleiben Sie lange?«
    »Morgen geht's wieder nach London zurück.«
    »Sie Glückspilz! Ich bin seit drei Wochen hier und versuche Geschäfte zu machen. Und eines kann ich Ihnen sagen: Diese Stadt ist verrückt.«
    »Kein Erfolg?«
    »Oh, klar, ich hab' Verträge. Ich hab' ein Büro. Ich hab' sogar Partner. Wissen Sie, was passiert ist?«
    Der Kanadier setzte sich an Jeffersons Tisch und schilderte ihm sein Erlebnis. »Ich komme mit sämtlichen Empfehlungen für die Holzindustrie an, die ich brauche – oder zu brauchen glaube. Ich miete mir ein Büro in einem neuen Bürohochhaus. Zwei Tage später klopft jemand bei mir an. Draußen steht ein Kerl, gepflegt, elegant, mit Anzug und Krawatte. ›Guten Morgen, Mr. Wyattc, sagt er. ›Ich bin Ihr neuer Partner.««
    »Sie haben ihn gekannt?« fragte Jefferson.
    »Nie gesehen! Er ist der Vertreter der hiesigen Mafia. Und er schlägt mir folgenden Deal vor: Seine Leute und er kassieren fünfzig Prozent meiner Gewinne. Als Gegenleistung kaufen oder fälschen sie sämtliche Genehmigungen, Zuteilungen, Konzessionen oder Schriftstücke, die ich jemals brauchen werde. Sie beseitigen bürokratische Hindernisse durch einen Anruf, sorgen für pünktliche Lieferungen und verhindern Streiks und Arbeitsniederlegungen. Für fünfzig Prozent.«
    »Sie haben ihn natürlich zum Teufel gejagt«, vermutete Jefferson.
    »Ausgeschlossen. Ich hab' schnell dazugelernt. Das nennt man ein ›Dach‹ haben. Man steht unter dem Schutz der Mafia. Ohne Dach erreicht man nichts, aber das sehr schnell. Vor allem darum, weil man keinen festen Stand mehr hat. Man kriegt die Beine abgeschossen.«
    Jefferson starrte ihn ungläubig an. »Großer Gott, ich habe gehört, daß Verbrechen hier alltäglich sind. Aber daß die Zustände so schlimm sind.«
    »Ich sage Ihnen, sie sind weit schlimmer, als Sie sich je vorstellen könnten.«
    Eines der Phänomene, das westliche Rußlandbeobachter nach dem Sturz des Kommunismus erstaunt hatte, war der scheinbar rasante Aufstieg der dortigen kriminellen Unterwelt, die als russische Mafia bezeichnet wurde, weil ein besserer Begriff fehlte. Selbst die Russen fingen an, von der
Mafija
zu sprechen. Manche Ausländer glaubten, dies sei ein erst nach dem Ende des Kommunismus entstandenes neues Gangstertum. Das war Unsinn.
    In Rußland gibt es seit Jahrhunderten eine weitverzweigte kriminelle Unterwelt. Im Gegensatz zur sizilianischen Mafia hat sie keine übergreifende Hierarchie besessen und ist nie im Ausland tätig geworden. Aber sie hat existiert: eine große, vielköpfige Bruderschaft mit Gebiets- und Bandenführern und Mitgliedern, die ihrer Bande Treue bis in den Tod geschworen hatten und das auch durch entsprechende Tätowierungen beweisen konnten.
    Stalin versuchte, die Unterwelt zu zerschlagen, indem er Tausende ihrer Angehörigen in Arbeitslager schicken ließ. Das führte lediglich dazu, daß die
Zeki
letzten Endes praktisch die Lager leiteten – mit Einverständnis der Wachen, die es vorzogen, ein

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