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Das schwarze Manifest

Das schwarze Manifest

Titel: Das schwarze Manifest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederick Forsyth
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ruhiges Leben zu genießen, statt damit rechnen zu müssen, daß ihre Angehörigen aufgespürt und bestraft wurden. In vielen Fällen führten die
Wori w sakone –
Diebe per Statut –, die Mafia-Dons entsprachen, ihre Unternehmungen im übrigen Rußland von ihren Hütten in Arbeitslagern aus.
    Zu den Ironien des kalten Krieges gehört die Tatsache, daß der Kommunismus ohne die Unterwelt wahrscheinlich zehn Jahre früher zusammengebrochen wäre. Selbst die Parteibosse hatten zuletzt einen Geheimpakt mit ihr schließen müssen.
    Der Grund dafür war einfach: Sie war die einzige Organisation in der UdSSR, die einigermaßen effektiv funktionierte. Ein Direktor, dessen Fabrik ein wichtiges Produkt herstellte, konnte erleben, wie seine Hauptmaschine wegen eines einzigen defekten Ventils ausfiel. Hätte er den bürokratischen Dienstweg eingehalten, hätte er sechs bis zwölf Monate auf sein Ventil warten müssen – und in dieser Zeit hätte die gesamte Fabrik stillgestanden.
    Oder er konnte mit seinem Schwager reden, der einen Mann kannte, der über gute Kontakte verfügte. Dann war das Ventil binnen einer Woche da. Später übersah der Fabrikdirektor das Verschwinden einer Ladung seiner Stahlbleche, die einer anderen Fabrik geliefert wurden, deren Blechlieferung ausgeblieben war. Danach frisierten beide Direktoren ihre Bücher, um zu zeigen, daß sie die Norm erfüllt hatten.
    In jeder Gesellschaft, in der eine Kombination aus verkrusteter Bürokratie und purem Unvermögen bewirkt hat, daß alle Räder stillstehen, ist der Schwarzhandel das einzige Schmiermittel. Die UdSSR lief mit diesem Schmiermittel, solange sie existierte, und war in ihrem letzten Jahrzehnt völlig davon abhängig.
    Die Mafia kontrollierte einfach den schwarzen Markt. Nach 1991 tat sie nichts anderes, als aus ihren Schlupfwinkeln zu kriechen, um zu blühen und zu gedeihen. Ihre neuen Aktivitäten gingen sehr rasch über ihre bisherigen Erwerbszweige – Alkohol, Drogenhandel, Schutzgelderpressung, Prostitution – hinaus und erfaßten sämtliche Bereiche des russischen Alltags.
    Eindrucksvoll war jedoch, wie schnell und brutal die praktische Übernahme der dortigen Wirtschaft ablief. Ermöglicht wurde sie durch drei Faktoren. Der erste war die Fähigkeit zu sofortiger massiver Gewalt, wie sie die russische Mafia demonstrierte, sobald sie von irgend jemandem behindert wurde – eine Gewaltbereitschaft, zu der die amerikanische Cosa Nostra vergleichsweise ausgesprochen zimperlich wirkte. Wer als Russe oder Ausländer die Beteiligung der Mafia an seinem Unternehmen ablehnte, wurde nur einmal verwarnt – im allgemeinen durch eine Tracht Prügel oder eine Brandstiftung – und als nächstes umgelegt. Das galt bis hinauf zu den Generaldirektoren von Großbanken.
    Der zweite Faktor war die Hilflosigkeit der unerfahrenen Miliz, die, in Geld- und Personalnöten steckend und ohne Warnung vor dem Sturm aus Gewalt und Verbrechen, der nach dem Zusammenbruch des Kommunismus über sie hereinbrechen würde, einfach überfordert war. Der dritte Faktor war die in Rußland traditionell weitverbreitete Korruption. Auch die nach 1991 einsetzende hohe Inflation, die erst ab 1995 etwas eingedämmt werden konnte, trug dazu bei.
    Unter kommunistischer Herrschaft entsprach ein Rubel zwei US-Dollar – ein angesichts seines wahren Werts und der Kaufkraftparität lachhafter, künstlich festgesetzter Wechselkurs, der jedoch innerhalb der UdSSR, wo es nicht an Geld, sondern an dafür erhältlichen Waren fehlte, zwangsweise durchgesetzt wurde. Die einsetzende Inflation vernichtete alle Ersparnisse und ließ Lohn- und Gehaltsempfänger verarmen.
    Verdient ein Milizionär auf Verkehrsstreife in der Woche weniger, als seine Socken kosten, ist es sehr schwierig, ihn davon abzuhalten, den Geldschein zu nehmen, der in einem offensichtlich gefälschten Führerschein liegt.
    Aber das waren kleine Fische. Die russische Mafia erweiterte ihr Netzwerk bis zu den höchsten Beamten hinauf und gewann fast die gesamte Bürokratie als Verbündete. Und in Rußland ist die Bürokratie für alles zuständig.
    So konnten Genehmigungen, Lizenzen, Erlaubnisse, Konzessionen und sogar staatliche Grundstücke rasch von dem jeweils zuständigen Beamten gekauft werden, was der Mafia astronomische Gewinne einbrachte.
    Eine weitere Fähigkeit der russischen Mafia, die Beobachter beeindruckte, war die Geschwindigkeit, mit der sie von herkömmlichem Gangstertum (das sie weiter fest im Griff behielt)

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