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Das schwarze Manifest

Das schwarze Manifest

Titel: Das schwarze Manifest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederick Forsyth
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nicht zur gleichen Zeit nehmen.
    Zenia war zehn Jahre jünger als er. Sie hatte eine geschiedene Ehe hinter sich und war wie er kinderlos. Die lebhafte und unerschrockene Frau war so anders als die Menschen, die Blinow bisher gekannt hatte. Sie hörte regelmäßig die verbotenen »Stimmen« von BBC und
Voice of America
und las begierig die in Warschau gedruckte Zeitschrift
Polen,
die soviel frecher und liberaler war als die dogmatischen sowjetischen Organe. Der von der Außenwelt abgeschottete Wissenschaftler war von ihr hingerissen.
    Sie beschlossen, sich gegenseitig zu schreiben, aber weil Blinow wußte, daß seine Post abgefangen wurde – schließlich war er Geheimnisträger –, bat er sie, ihre Briefe an einen Freund zu adressieren, für den sich kein Geheimdienstler interessierte.
    1978 sahen sie sich in Sotschi am Schwarzen Meer wieder. Diesmal war das Treffen verabredet. Inzwischen bestand Blinows Ehe nur noch auf dem Papier, und aus der Freundschaft mit Zenia wurde eine leidenschaftliche Liebesaffäre. 1979 trafen sie sich zum dritten- und letztenmal in Jalta. Dort flammte ihre Liebe zwar sofort wieder auf, doch wurde ihnen klar, daß es keine Hoffnung für sie gab.
    Blinow sah sich außerstande, sich von seiner Frau scheiden zu lassen. Hätte sie ein Verhältnis mit einem anderen Mann gehabt, wäre es ihm leichter gefallen. Außerdem war ihm Walia in den fünfzehn Jahren ihrer Ehe immer eine treue Frau gewesen. Daß die Liebe mit der Zeit gestorben war, gehörte nun mal zum Lauf des Lebens. Sie waren noch immer Freunde, und er wollte sie nicht mit einer Scheidung kompromittieren, vor allem nicht in dem kleinen Kreis, in dem sie lebten.
    Zenia stimmte ihm zu, allerdings aus einem anderen Grund. Sie vertraute ihm an, daß eine Ehe mit ihr das Ende seiner Karriere bedeuten würde, da sie Jüdin war. Sie hatte bereits die Genehmigung für die Auswanderung nach Israel beantragt und rechnete sich gute Chancen aus, weil unter Breschnew die Bestimmungen gelockert worden waren. Vor dem Abschied liebten sie sich ein letztes Mal. Danach sollten sie sich nie wieder sehen.
    »Den Rest kennen Sie«, schloß Jewgenia.
    »Das Transitlager in Österreich, über das Sie zu unserer Botschaft gefunden haben?«
    »Ja.«
    »Und Iwan Iwanowitsch?«
    »Sechs Wochen nach dem Urlaub in Jalta merkte ich, daß ich von Iwan schwanger war. Iwan Iwanowitsch ist hier auf die Welt gekommen und ist gebürtiger US-Bürger. Wenigstens er kann in Freiheit aufwachsen.«
    »Haben Sie Blinow je geschrieben, es ihm mitgeteilt?«
    »Wozu?« lautete ihre bittere Gegenfrage. »Er ist verheiratet. Er lebt in einem goldenen Gefängnis, führt aber im Grunde kein anderes Leben als die Sträflinge in den Konzentrationslagern. Was hätte ich denn tun sollen? Alles Wiederaufleben lassen? Seine Sehnsucht nach etwas wecken, das er ja doch nicht bekommen kann?«
    »Haben Sie Ihrem Sohn von seinem Vater erzählt?«
    »Ja. Daß er ein großer, ein liebevoller Mann ist. Aber weit weg.«
    »Es ändert sich jetzt vieles«, sagte Monk mit sanfter Stimme. »Heute läßt man ihn wahrscheinlich sogar bis nach Moskau. Ich habe einen Freund, der oft nach Moskau fährt. Er ist Geschäftsmann, wissen Sie. Sie könnten dem Mann in Arzamas-16 schreiben, dessen Briefe nicht geöffnet werden, und Blinow bitten, nach Moskau zu kommen.«
    »Wozu? Was soll ich ihm denn ausrichten lassen?«
    »Er sollte von seinem Sohn erfahren. Lassen Sie doch den Jungen schreiben. Ich werde dafür sorgen, daß der Vater den Brief bekommt.«
    Noch vor dem Zubettgehen schrieb der kleine Iwan in rührend fehlerhaftem Russisch einen zweiseitigen Brief. Die ersten Worte lauteten: »Lieber Papa.«
    »Gracie« Fields kehrte am elften kurz vor Mittag in die Botschaft zurück und klopfte sogleich bei Macdonald an. Sein Stationsleiter wirkte ziemlich bedrückt.
    »Sturmwarnung?« fragte der Ältere. Fields nickte stumm.
    Sobald sie sich ins Konferenzzimmer »A« zurückgezogen hatten, warf Fields ein Foto vom Gesicht eines toten alten Mannes auf den Tisch. Es gehörte zu dem Stoß Aufnahmen, die die Polizei im Wald gemacht hatte.
    »Haben Sie Ihren Mann getroffen?« wollte Macdonald wissen.
    »Ja. Eine ziemlich häßliche Geschichte. Er war Raumpfleger in der Zentrale der UPK.«
    »Raumpfleger?«
    »Richtig. War fürs Büro zuständig. Wie Chestertons unsichtbarer Mann. War jede Nacht da, aber keiner bemerkte ihn. Kam von Montag bis Samstag so gegen zehn, putzte das ganze Büro und ging im

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