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Das schwarze Manifest

Das schwarze Manifest

Titel: Das schwarze Manifest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederick Forsyth
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Ämtern zugeht, Mrs. Rozina: Akten, Akten und nochmals Akten. Wenn sie vollständig ausgefüllt sind, ist der Boß glücklich. Und was geschieht dann? Nichts! Sie verstauben in den Archiven. Aber sobald irgendwas fehlt, wird der Boß zur Nervensäge. Und dann wird so ein kleines Würstchen wie ich losgeschickt, um auch noch das letzte Detail einzutragen.«
    »Was wollen Sie wissen?« fragte sie. »Meine Papiere sind in Ordnung. Ich bin Wirtschaftswissenschaftlerin und Übersetzerin. Ich liege niemandem auf der Tasche und zahle regelmäßig Steuern. Ich koste die USA keinen Cent.«
    »Das wissen wir alles, Ma'am. Von Unregelmäßigkeiten in Ihren Papieren ist auch überhaupt nicht die Rede. Sie sind jetzt Staatsbürgerin der USA – alles in bester Ordnung. Das einzige Problem ist der Name des kleinen Iwan. Warum haben Sie ihn nicht unter Ihrem eigenen Namen eintragen lassen?«
    »Ich habe ihm den Namen seines Vaters gegeben.«
    »Natürlich. Wissen Sie, die Zeiten haben sich geändert. Mit Kindern, die nicht aus einer Ehe stammen, haben wir keine Probleme. Aber Akten sind nun mal Akten. Könnten Sie uns den Namen seines Vaters angeben? Bitte.«
    »Iwan Jewdokimowitsch Blinow«, antwortete sie.
    Volltreffer! Der Name auf der Liste. In ganz Rußland hieß bestimmt kein anderer so.
    »Sie haben ihn sehr geliebt, nicht wahr?«
    Ein abwesender Ausdruck trat in ihre Augen, als verliere sie sich in der Erinnerung an eine lang zurückliegende Zeit. »Ja«, flüsterte sie.
    »Wollen Sie mir von Iwan erzählen?«
    Zu Jason Monks vielen Talenten gehörte die Gabe, das Vertrauen anderer zu gewinnen. Als der Junge zwei Stunden später aus der Küche kam und ihr seine fehlerfrei gelösten Rechenaufgaben zeigte, hatte sie Monk alles über seinen Vater erzählt.
    Iwan Jewdokimowitsch wurde 1938 in Leningrad als Sohn eines Physikprofessors und einer Mathematiklehrerin geboren. Der Vater, der vor dem Krieg die Stalinschen Säuberungswellen wie durch ein Wunder überlebt hatte, starb 1942 während der Belagerung Leningrads durch die Deutschen. Der Mutter gelang im Winter desselben Jahres mit dem vierjährigen Wanja auf dem Arm die Flucht aus der ausgehungerten Stadt. Ein Lastwagenkonvoi brachte sie über den zugefrorenen Ladogasee in Sicherheit. Sie wurden in eine kleine Stadt im Ural umgesiedelt, in der der Junge aufwuchs.
    Seine Mutter ließ sich durch nichts in ihrem Glauben erschüttern, daß er eines Tages in die Fußstapfen seines Vaters treten würde.
    Mit achtzehn ging Iwan dann auch nach Moskau und bewarb sich um die Aufnahme im Institut für Physik und Technologie, einer der angesehendsten technischen Hochschulen in der UdSSR. Zu seiner Überraschung wurde er trotz seiner bescheidenen Herkunft akzeptiert. Den Ausschlag hatten der Ruhm seines Vaters, die Hingabe seiner Mutter, seine Erbanlagen und vor allem sein Fleiß gegeben. Der Name des Instituts mochte nicht sehr aufregend klingen, doch verbarg sich dahinter eine Talentschmiede für die brillantesten Nuklearwaffenkonstrukteure des Landes.
    Nach sechs Jahren Studium bot man dem immer noch sehr jungen Blinow eine Stelle in einer Wissenschaftsstadt an, die so streng geheimgehalten wurde, daß der Westen erst sehr viel später davon erfuhr. Der Wunderknabe akzeptierte das Angebot, und so wurde Arzamas-16 für ihn feudale Heimat und Gefängnis zugleich.
    Für sowjetische Verhältnisse führte er dort ein Luxusleben: eine kleine Wohnung für sich ganz allein, Geschäfte mit Waren, die man sonst im ganzen Land vergeblich suchte, ein höheres Gehalt, unbegrenzte Forschungsmöglichkeiten – was konnte man sich mehr wünschen? Eines hatte er freilich nicht: das Recht wegzugehen.
    Einmal im Jahr durfte er für einen Bruchteil der üblichen Kosten Urlaub machen, allerdings in einem von oben bestimmten Ort. Danach hieß es wieder: arbeiten hinter Stacheldraht, zensierte Post, angezapfte Telefone und überwachte Freundschaften.
    Noch vor seinem dreißigsten Geburtstag heiratete er die junge Bibliothekarin und Englischlehrerin Walia. Von ihr lernte er Englisch, was ihm die Lektüre neuester westlicher Forschungsberichte im Original ermöglichte.
    Die Ehe war nur am Anfang glücklich. Im Lauf der Jahre litten beide zunehmend darunter, daß ihr sehnlicher Wunsch nach einem Kind unerfüllt blieb.
    Im Herbst 1977 lernte Iwan Blinow in dem im Nordkaukasus gelegenen Kurort Kislowodsk Zenia Rozina kennen. Wie es im goldenen Käfig gängiger Brauch war, durfte seine Frau ihren Jahresurlaub

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