Das Schwebebahn-Komplott
Stefan mit unendlicher Erleichterung, dass Spielberg
die Hand, mit der er die Pistole umklammert hielt, sinken
ließ.
Hatte er gerade von
einem Bruder gesprochen?
»Heißt das
...«, stammelte Stefan unbeholfen, was Spielberg wiederum zu
einem mitleidigen Lachen hinriss.
»Ja, das
heißt, dass ich nicht der bin, für den Sie mich
halten.«
»Aber ...«
Der Reporter runzelte die Stirn. Die Ähnlichkeit mit Rolf
Spielberg war frappierend. Den echten Spielberg hatte Stefan
früher bei Pressekonferenzen und auf den
Wohltätigkeitsbällen im Zoofestsaal kennen gelernt.
Jetzt, wo er wusste, dass Spielberg tot war, erinnerte er sich an
jede kleine Geste dieses Mannes.
»Seiler«,
rügte Spielberg ihn jetzt. »Für einen Journalisten
sind Sie recht schwer von Begriff. Rolf Spielberg, der
bedauerlicherweise verstorbene Rolf Spielberg, war mein
Zwillingsbruder.« Er legte fast charmant den Kopf
schräg. »Entschuldigen Sie den etwas rüden
Auftritt, aber ich hörte Geräusche aus dem Arbeitszimmer.
Mein Name ist Harald Spielberg.«
Stefan kramte in
seiner Erinnerung, konnte sich aber nicht entsinnen, jemals etwas
von einem Zwillingsbruder gehört zu haben. Das erleichterte
die Konversation nicht gerade. »Darf man auch erfahren, was
Sie hier treiben?«
Der verschollene
Bruder lachte auf. »Eigentlich sind Sie ganz schön
frech. Immerhin bin ich direkt vom Ableben meines Bruders betroffen
und trauere.«
»Aber«,
setzte Stefan an. »Wo waren Sie in der vergangenen
Zeit?« Er konnte nicht begreifen, in was er hier gerutscht
war. Fast glaubte er an eine neue Identität, mit der Spielberg
sich ein neues Leben verschaffen wollte. Möglicherweise war
die Luft in seinen Gefilden zu dünn geworden, und vielleicht
hatte er seinen Tod nur der Öffentlichkeit vorgegaukelt, um
sich eine neue Chance zu geben.
Spielberg schien seine
Gedanken zu erraten.
»Wir mochten uns
nicht sonderlich«, erklärte er fast melancholisch.
»Deshalb gingen wir uns aus dem Weg. Nach dem Tod unserer
Eltern zog ich in eine andere Stadt. Dem wachsenden Druck meines
profitgeilen Bruders war ich damals nicht gewachsen. Von
Ersparnissen kaufte ich mir ein bescheidenes Haus in der
Toskana.« Er blickte Stefan nachdenklich an und trat
näher. »Rolf war kälter als eine Hundeschnauze. Er
ging über Leichen, nur um an das dreckige Geld seiner
Mitmenschen zu gelangen.« Er spuckte auf den sündhaft
teuren Perserteppich des Büros.
»Er war eine
Ratte und hatte nichts anderes als den Tod
verdient.«
»So spricht aber
niemand, der über den Verlust des Bruders trauert.«
Stefan provozierte Harald Spielberg.
Und der reagierte
prompt. Seine Augen sprühten Funken:
»Wer sagt, dass
ich trauere?«
»Sie.«
Immerhin haben Sie selber vor einer Minute Ihre Trauer um den
verlorenen Bruder mir gegenüber zum Ausdruck
gebracht.«
»Wissen
Sie«, murmelte Spielberg und lächelte sanft. »Rolf
unterdrückte mich schon in unserer Kindheit. Immer war er
derjenige, der das Lob unserer Eltern einstrich, er war es auch,
der im Internat die besseren Schulnoten und Erfolg bei den
Mädchen hatte und später Karriere
machte.«
»So spielt das
Leben.« Stefan überlegte fieberhaft, warum Harald
Spielberg ihm seine Lebensgeschichte erzählte. Er war doch
wildfremd für ihn. Möglichst unbemerkt warf der Reporter
einen Blick auf seine Armbanduhr. In drei Stunden musste er im
Studio sein, um sich auf die Nachtschicht vorzubereiten, die er
heute moderieren sollte. Eckhardt vermisste ihn sicherlich
schon.
»Meine
Ausführungen scheinen Sie zu langweilen«, riss
Spielbergs Stimme ihn aus den Gedanken. Stefan lächelte
unverbindlich und zuckte mit den Schultern. »Nicht im
Geringsten.«
Während sie
sprachen, standen sie unmotiviert mitten im Maklerbüro von
Rolf Spielberg herum. Normalerweise hätte er dem - ungebetenen - Gast einen
Platz anbieten können. Aber irgendwie schien dieser
verschollene Zwillingsbruder nicht ganz normal zu sein. Warum
erzählte er seine ganze Lebensgeschichte?
»Ich heiratete
in Italien«, fuhr er fort. »Wir bekamen bald ein Kind,
ein bezauberndes Mädchen. Gina wuchs wohlbehütet auf und
wurde der Schwarm aller Jungen in unserem Dorf. Irgendwann aber
besuchte Rolf uns in der Toskana. Er versprach Gina die
schönsten Dinge und sie möge ihn im fernen Deutschland
besuchen.« Spielberg zuckte mit den Schultern.
»Nun, sie war
sechzehn. In diesem Alter haben Mädchen bereits ihren eigenen
Kopf, wissen Sie? Wir ließen sie also ziehen. In
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