Das Schwebebahn-Komplott
unmöglich, einen klaren Gedanken zu fassen. Das Wetter
war traumhaft und das Thermometer gegenüber vom Rathaus hatte
knapp sechsundzwanzig Grad angezeigt. Entsprechend viel Betrieb
herrschte im Biergarten, und nur durch Glück war es ihnen
gelungen, einen freien Tisch zu ergattern, nachdem sie es sich
zunächst auf dem kleinen Mäuerchen, der den Marktplatz
abgrenzte, bequem gemacht hatten.
»Er muss ja
nicht wissen, was ich beruflich treibe«, überlegte
Stefan. Er grinste die Freundin breit an.
»Stefan«,
ächzte Heike und winkte ab. »Gembowsky ist
Geschäftsmann. Er muss vorsichtig sein, sehr, sehr vorsichtig.
Was willst du ihm erzählen? Dass du von der Versicherung
kommst, oder was?«
»Mir wird etwas
einfallen«, brummte er missmutig. Seine Kollegin hatte Recht.
Seufzend blickte er auf die Armbanduhr. »In anderthalb
Stunden muss ich zum Sender. Da schaffe ich nichts mehr. Aber
morgen«, Stefan nickte, »morgen werde ich diesem
Zuhälter einen Besuch abstatten.«
»Die Adresse
steht kaum im Telefonbuch«, erwiderte Heike.
Stolz griff Stefan in
die Innentasche der Jeansjacke und zog seinen Joker hervor. Heike
starrte verdutzt auf das in Leder gebundene
Büchlein.
»Was ist
das?«, fragte sie und streckte die Hand danach
aus.
»Mein Fahrschein
zu Gembowsky«, grinste Stefan. »Das ist Rolf Spielbergs
persönliches Adressbuch. Möglicherweise hat er die genaue
Anschrift seines Lieblingsfreundes Gembowsky
notiert.«
»Woher
...« stotterte Heike und blätterte im Buch herum.
»Woher hast du die Kladde?«
»Aus seinem
Haus. Ich konnte sie verschwinden lassen, bevor das Unheil seinen
Lauf nahm.« Sein Grinsen wurde noch eine Spur
breiter.
»Stefan«,
sagte die Reporterin vorwurfsvoll. »Das ist
Diebstahl.«
»Nein.« Er
winkte ab. »Es dient mir lediglich zur Beweisaufnahme. Als
Mitarbeiter der Wupperwelle habe ich ein berechtigtes Interesse
daran, dass der Erpresser so schnell wie möglich aufgetrieben
wird.« Stefan zog die Mundwinkel nach unten. »Bevor der
guten alten Schwebebahn etwas zustößt und unschuldige
Fahrgäste dran glauben müssen.«
»Du bist
größenwahnsinnig«, stellte Heike unbeeindruckt
fest und reichte ihm das Buch zurück. »Es ist Sache der
Polizei, den ...«
Weiter kamen sie
nicht.
Das Handy in seiner
Jackentasche schlug an. Als er stirnrunzelnd auf das Display
blickte, stellte er fest, dass ihn jemand aus der Redaktion anrief.
»Eckhardt«, brummte Stefan und nahm den Anruf
an.
»Sie müssen
sofort los«, fiel dieser mit der Tür ins Haus.
»Ich habe keine Leute, und Frau Göbel ist nach der
Sendung sofort verschwunden. Sie müssen nach Vohwinkel!«
Der Chefredakteur schien völlig aufgelöst zu
sein.
»Was ist denn
überhaupt passiert?«, fragte Stefan geduldig.
»Diese Schweine
haben ihre Drohung wahrgemacht«, erwiderte er.
Heike, die nur die
Hälfte des Telefonats mitbekam, warf Stefan einen viel
sagenden Blick zu und rollte mit den Augen. »Was ist in
Vohwinkel los?«
Er ahnte das
Schlimmste und wusste sofort, dass Eckhardt von den Erpressern
sprach. »In der Endstation Vohwinkel sind zwei Bahnen
aufeinandergefahren. Zwanzig Personen verletzt, der Fahrer der
hinteren Bahn liegt im Krankenhaus.«
Stefan stutzte. Seine
gute Laune war verflogen. Scheinbar war er zu spät dran, um
die Sicherheit der Schwebebahn zu schützen.
»Allerdings
spricht man derzeit von einem technischen Defekt.«
»Wenn ich alles
glaube«, brummte er, »aber das nicht.« Eilig
unterbrach Stefan die Verbindung und bezahlte die Zeche. Es gab
Arbeit.
*
Am
Redaktionsgebäude hatten sich ihre Wege getrennt.
Heike wollte noch mal
mit dem Polizeipräsidium telefonieren, um herauszufinden, ob
man dort dem unbekannten Schützen, der Hans Zoch aus dem
Hinterhalt angeschossen hatte, auf der Spur sei.
Stefan hatte sich den
Road Runner, wie sie das mobile Aufnahmegerät nannten, geholt
und war mit seinem Käfer zur Vohwinkler Halle gedüst.
Natürlich war die Autobahn dicht gewesen - der Berufsverkehr
war seit einer Stunde in vollem Gange. Er benötigte fast
zwanzig Minuten für die Kaiserstraße, dann endlich hatte
er sein Ziel erreicht. Auf den ersten Blick erkannte er zahlreiche
auffällig-unauffällige Wagen von Kripo und
Staatsanwaltschaft, die sich zu den Streifenwagen gesellten.
Rettungswagen parkten unter der Schwebebahnhalle und versorgten
noch immer die verletzten Fahrgäste. Männer und Frauen in
weißen Kitteln rannten aufgeschreckt umher. Auf der anderen
Straßenseite parkten zwei
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