Das Schwebebahn-Komplott
Übertragungswagen vom
Fernsehen. Ein Unfall der Schwebebahn war selten, und entsprechend
groß war das Interesse der Medien an einem derartigen
Unglück mit dem sichersten Verkehrsmittel der Welt.
Stefans Interesse galt
der dichten Menschentraube vor dem Eingang der Schwebebahnstation.
Es hatten sich unzählige Schaulustige eingefunden und waren in
intensive Gespräche verwickelt.
»Der Fahrer war
wohl sternhagelvoll, sonst hätte er ja die andere Schwebebahn
gesehen, die im Bahnsteig wartete«, rief ein untersetzter
Mann mit buschigen Augenbrauen.
»Quatsch, die
Bahn war im Eimer - die Bremsen sollen versagt haben«,
erwiderte sein Kumpel, ein langer Lulatsch mit schulterlangen,
fettigen Haaren und einer krummen Boxernase.
»Wenn die
Bremsen versagen, dann schaltet sich der Strom automatisch
ab«, wusste ein kleiner Dicker und linste aus tückischen
Augen zu seinem Freund hinauf, der dementierte.
Wo immer etwas
geschehen war, gab es neunmalkluge Besserwisser, die natürlich
jede Katastrophe voraussagen konnten. Stefan hatte genug von dem
Unsinn gehört und wandte sich kopfschüttelnd ab. Als er
den kleinen Schalterraum am Fuße der Station betrat, stellte
er fest, dass der Fahrkartenschalter geschlossen war. Ein Schild
über dem Eingang wies die Fahrgäste darauf hin, dass die
Bahn derzeit außer Betrieb sei und stattdessen Ersatzbusse
eingesetzt wurden.
Rasch eilte Stefan die
ausgetretenen Steinstufen zum Bahnsteig hinauf, stets zwei Stufen
mit einem Schritt nehmend. Eigentlich erwartete er, dass man die
beschädigten Züge eilig in die Wagenhalle
zurückgefahren hätte, um sensationsgeilen Besserwissern
den Anblick der zerstörten Bahnen zu ersparen. Stefan reckte
den Kopf und stellte sich auf die Zehenspitzen, um vielleicht ein
bekanntes Gesicht auszumachen. Doch das Erste, was er sah, war das
rotweiße Flatterband mit der Polizei-Aufschrift.
»Hier
können Sie nicht rein«, belehrte ihn ein junger,
uniformierter Beamte und bemühte sich, ihm den Blick zu
versperren.
»Was ist
geschehen?«, fragte Stefan, eigentlich um Zeit zu
gewinnen.
»Zwei
Schwebebahnen sind zusammengeprallt«, wurde er mit wichtiger
Miene aufgeklärt. »Die Bahn steht zur Zeit still, Sie
müssen wohl für die nächsten Stunden mit dem Bus
fahren.«
»Unsinn, ich
fahre mit dem Auto«, erwiderte Stefan ungeduldig. Das
profilierungssüchtige Gehabe des Polizisten nervte ihn, und er
präsentierte dem Polizisten seinen kleinen Koffer, der den
Road Runner beinhaltete. Das knallrote Logo der Wupperwelle war
nicht zu übersehen und in der Stadt bekannt. »Ich bin
vom Radio und würde gern Ihren Einsatzleiter
sprechen.«
»Den
Staatsanwalt?«, fragte der junge Polizist und machte eine
säuerliche Miene. »Staatsanwalt Pesche ist aber
beschäftigt.«
»Staatsanwaltschaft?«,
fragte Stefan. Stimmt: Schon am Fuße der Haltestelle war ihm
der Dienstwagen der Staatsanwaltschaft aufgefallen. Das ging aber
verdammt schnell. Also ging man wohl doch nicht von einem
technischen Defekt aus. Vermutete man auch
hier schon einen Anschlag der Erpresser?
Der blasse Beamte -
Stefan schätzte ihn auf Mitte zwanzig - schien zu merken, dass
er bereits zu viel verraten hatte. »Natürlich eine reine
Vorsichtsmaßnahme«, beeilte er sich zu
sagen.
»Natürlich«,
stimmte Stefan im Brustton der Überzeugung zu. Während er
mit dem Polizisten redete, spähte er an diesem vorbei, um
einen Blick auf den Bahnsteig zu erhaschen. Dort huschten
unzählige Personen aufgeregt umher oder waren in angeregte
Gespräche vertieft.
Dann sah Stefan die
Unglücksbahn. Der orange-blaue Zug stand leer und
führerlos am Bahnsteig. Alle Türen waren geöffnet,
und, obwohl er von seinem Standort aus von der Beschädigung
nicht viel sehen konnte, so fiel ihm doch auf, dass die Schwebebahn
schief in den Schienen hing. Der Zug erinnerte ihn an ein
gekentertes Schiffswrack und die Beule im Heck ließ das
Schlimmste vermuten. Die letzten Bänke waren aus den
Verankerungen im Boden gerissen worden. Wer hier gesessen hatte,
konnte unmöglich unverletzt davongekommen sein. Obwohl Stefan
als Journalist einiges gewohnt war, so schnürte sich ihm bei
diesem Anblick doch die Kehle
zu.
»Lassen Sie den
Mann durch«, riss ihn eine weibliche Stimme aus den Gedanken.
Zögernd löste Stefan sich vom Anblick der lädierten
Schwebebahn. Auch der junge Beamte fuhr auf dem Absatz herum. Eine
konservativ gekleidete Frau im mittleren Alter hatte sich
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