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Das Schwebebahn-Komplott

Das Schwebebahn-Komplott

Titel: Das Schwebebahn-Komplott Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Schmidt
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hochgezogen hatte, um möglichst
viele zahlende Mieter auf möglichst wenig Grundfläche
unterzubringen. Das war auf acht Etagen gelungen, und so hatte man
ein Schwimmbad, eine Bibliothek und ein kleines Einkaufszentrum
hinzugefügt. So war der Röttgen zur Ministadt in der
Stadt geworden. Nur hatte man damals vergessen, dass die
Ölkrise irgendwann einmal zu Ende sein würde und jeder
ein eigenes Auto haben wollte, mit dem er einen Parkplatz in der
Nähe seines Hauses suchen würde.
    Hohl klangen ihre
Schritte von dem Belag des Eingangsbereiches zurück, als die
Reporterin unter permanentem Gähnen den Aufzug enterte. Mit
geröteten Augen starrte sie auf die Kritzeleien, die ein
begnadeter Künstler mit einem Edding auf die metallene
Schachtwand geschmiert hatte. Die Penisform war ihm wenigstens
gelungen. Sie drückte die gewünschte Etage und lehnte
sich gähnend gegen die Kabinenwand des Aufzugs, während
sie sich durch das erhitzte Gesicht fuhr. Die Kälte des
Metalls durchdrang ihre Kleidung. Heike schloss die Augen. Ein
anstrengender, erlebnisreicher Tag lag hinter ihr, und jetzt wollte
sie nur noch eines: schlafen. Gerne hätte sie die Nacht bei
Stefan verbracht, vielleicht hätten sie diesmal zueinander
gefunden, um ihre dauerhaft platonische Freundschaft endlich zu
beenden. Doch der Dienstplan sah andere Dinge vor. Stattdessen
moderierte Stefan die Nachtshow.
    Mit einem Ruck setzte
sich der Lift in Bewegung, und das Ächzen der Drahtseile
erschien ihr heute Nacht besonders laut. Auch die Kabine vibrierte
an diesem späten Abend stärker als sonst...
    Sekunden später
öffneten sich die Türen im siebten Stockwerk.
    Sie hatte es
überlebt - der Aufzug war nicht abgestürzt, und hier lag
ihre Wohnung. Sie zögerte einen Augenblick, bevor sie die hell
erleuchtete Aufzugkabine verließ und in das dunkle
Treppenhaus trat. Dort angekommen, glitten ihre Hände
über den Rauputz der Wand, suchten nach dem Lichtschalter,
fanden ihn schließlich. Die junge Frau betätigte den
Knopf.
    Klick.
    Vergeblich.
    Der kalte Flur blieb
stockfinster.
    »Scheiße«,
murmelte Heike und wühlte in der Handtasche nach ihrem
Wohnungsschlüssel. Einmal mehr verfluchte sie diese anonymen
Wohnsilos. Sie waren nachts unheimlich, insbesondere für sie
als allein lebende Frau. Alles wäre anders, wenn Stefan jetzt
hier gewesen wäre.
    Aber sie hatte nicht
einmal ein verdammtes Feuerzeug bei sich.
    Früher, als
Teenagerin, hatte sie immer Feuer dabei gehabt, obwohl sie nie
geraucht hatte. Ein alter Flirttrick, um die abgegriffene Masche »Haste
mal Feuer« mit ja beantworten zu können.
    Nur heute Nacht suchte
sie das Feuerzeug vergeblich.
    Die Reporterin
seufzte. Sie wurde alt, ging stramm auf die dreißig
zu.
    Jetzt stand sie
definitiv im Dunkeln.
    Heike umklammerte den
Wohnungsschlüssel fester. Hart bohrte sich das spitze Eisen in
ihren Handballen. Beinahe hätte sie geschrien und lockerte den
Griff. Mit einem leisen Surren schlossen sich hinter ihr die
Türen des Fahrstuhls. Ratternd setzte sich das Gefährt in
Bewegung, fuhr in die Tiefe.
    Heike starrte
unentschlossen auf den schmalen Lichtstreifen zwischen den
Schiebetüren, der stetig abwärts wanderte, bis er
völlig im unteren Stockwerk des Liftschachtes verschwunden
war. Unschlüssig stand sie nun auf dem verlassen daliegenden
Korridor der siebten Etage. Sie fühlte sich schlagartig
allein. Ihre direkten Nachbarn, zu einem hohen Anteil Polen und
Russlanddeutsche, kannte sie nur flüchtig. Außer einem
Gruß hatte man nur wenig füreinander übrig. Schon
eine Etage tiefer kannte sie keinen Menschen mehr. 
    All diese Gedanken
ließen ihr Herz rasen. Heike warf den Kopf herum, glaubte,
ein Geräusch gehört zu haben. »Unsinn«,
schalt sie sich, »wer sollte hier im Dunkeln herumirren? Ich
spinne schon.«
    Mit klopfendem Herzen
betätigte sie den Lichtschalter noch einmal. Vielleicht hatte
sie nicht fest genug gedrückt. Auch die Elektrik in diesem
Wohnbunker war fast dreißig Jahre alt. Der Schalter klickte
laut und vernehmlich, aber trotzdem: Es blieb dunkel im
Treppenhaus.
    Eine Mischung aus Wut
und Angst stieg in ihr auf. Ihr Herz schlug bis zum Hals, und sie
schluckte trocken.
    Heike Göbel wurde
es siedend heiß.
    Immer wieder
hämmerte sie auf den Knopf ein. Immer wieder erfolglos. Das
Blut rauschte in ihren Ohren. Sie versuchte, die Dunkelheit mit
ihren Augen zu durchdringen. Schemenhaft erkannte sie die
Türen der Nachbarwohnungen, die matt schimmerten und sich

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