Das Schwebebahn-Komplott
gesagt: Es hatte einen weiteren
Anschlag auf die Bahn gegeben, und Heike war Zeuge geworden. Sie
hatte vom Fenster des Chefbüros aus beobachten können,
wie jemand auf den Zug geschossen hatte. Die Bahn war mitten auf
der Strecke stehen geblieben, kaum dass sie den Alten Markt
verlassen hatte. Sie hatte auch die zerstörten Seitenfenster
gesehen. Der Fahrer war nicht zu sehen gewesen - warum auch immer.
Möglicherweise hatte der Schütze ihn getroffen und
verletzt, oder gar Schlimmeres. Eckhardt persönlich war
losgezogen, bewaffnet mit seinem Handy, um nach der ersten Musik im
Wuppertreff einen kurzen Bericht per Telefon durchzugeben. Obwohl
sich der Wuppertreff normalerweise aus Klatsch, Tratsch und
lockeren Haushaltsthemen zusammensetzte, hatten sie das Programm
kurzfristig gekippt, um über den Zwischenfall zu
berichten.
»Ulbricht hat
soeben angerufen«, sprudelte es aus Heike heraus, nachdem
Stefan das Mikrofon dicht gemacht hatte.
Er blickte sie mit
geneigtem Kopf an. »Und?«
»Jetzt
weiß er, was unser Freund Axel Grimm in Gembowskys Haus
gesucht hat und er weiß auch, dass beide nichts mit der
Bewegung 12. April zu tun haben.« Heike blickte ihn mit
großen Augen an.
»Erzähl.«
»Der werte
Kollege stand auf Klaus Gembowskys Lohnliste.« Heike grinste
und schlug die langen Beine übereinander. Einmal mehr
verliebte Stefan sich in ihre Grübchen, die ihr etwas
Mädchenhaftes verliehen, und fragte sich, wann aus ihnen
endlich ein Paar werden würde. Ein richtiges Paar.
»Aber
...«, murmelte Stefan, »er arbeitet doch beim
Talexpress.«
»Eben«,
ereiferte Heike sich. »Denk doch mal nach!«
Langsam fiel der
Groschen. Heike hatte Klaus Gembowsky, den zwielichtigen
Nachtbargastronom, interviewen wollen. Zunächst hatte er sich
einverstanden erklärt, um die negativen Vorurteile, die ihn
schwer belasteten, im Kreise der Wupperwelle-Hörerschar
abzubauen. Als Heike ihm aber eine Abfuhr erteilt hatte und sich
nicht in seine Villa eingeladen ließ, verstand Gembowsky das
als klare Kriegserklärung gegen seine Persönlichkeit. Nun
musste er befürchten, dass die Originaltöne des
Interviews - inklusive seiner patzigen Beschimpfungen, derer er
sich trotz laufenden Tonbands einfach nicht enthalten konnte -
gegen ihn verwendet würden und er somit in arge
Schwierigkeiten käme. Das konnte er nicht ertragen. Er musste
Heike aus dem Verkehr ziehen und von ihr die Herausgabe des Bandes
erzwingen. In seiner Verzweiflung ließ er sie kurzerhand
entführen: von seinen Handlangern, die zwar dumm, aber stark
und ihm untertan waren. Somit war Heike schachmatt gesetzt, er
hatte genug Zeit, sie weich zu kochen und sie konnte nichts gegen
ihn unternehmen. Vor allem in dieser heiklen Phase der
ungeklärten Nachlassregelungen des verstorbenen Rolf Spielberg
durfte sich Gembowsky keine negative Publicity erlauben.
Schließlich hatte er vor, den Geschäftspartner zu
beerben. Jetzt endlich ergab die Sache für Stefan einen
Sinn.
Heikes Entführung
hatte also gar nichts mit dem Schwebebahnkomplott zu tun gehabt,
war einer gänzlich anderen Sache dienlich gewesen.
Und Axel
Grimm?
Er musste an jenem
Abend, als Heike das Interview führte und er sie an der
Schwebebahnstation traf, wo man den toten Rolf Spielberg gefunden
hatte, dahinter gekommen sein, dass es zwischen Gembowsky und Heike
Funken gegeben hatte, woraufhin er dem aalglatten
Nachtclub-Besitzer das Angebot machte, Heike, ihren Freund und
gleich die ganze Wupperwelle öffentlich zu diskreditieren.
Dies war Rache für Gembowsky, und gleichzeitig für Axel
Grimm eine willkommene Gelegenheit, den ungeliebten Kollegen vom
Hörfunk eins auszuwischen. So hatte er dem Sender im
Talexpress unterstellt, hinter den seltsamen Vorkommnissen um den
toten Rolf Spielberg zu stecken, hatte Stefan in der
Öffentlichkeit angeprangert und die Frage in den Raum
gestellt, was die Wupperwelle wohl mit dem Selbstmord des
unglücklichen Spielberg-Zwillingsbruders zu tun hatte. Auch
eine Gegendarstellung, wie Michael Eckhardt sie vom Chefredakteur
des Talexpress verlangt hatte, brachte letztendlich nichts mehr und
diente lediglich der Ehrenrettung des Senders. Gegendarstellungen
werden immer klein gedruckt, Prozesse werden erst geführt,
wenn die Sache niemanden mehr interessiert. Die Wirkung der ersten
Schlagzeile ist irreversibel.
»Stefan - du
bist gleich dran«, riss Heikes Stimme ihn aus den Gedanken.
Sie hatte sich weit über das Mischpult gebeugt und reichte ihm
den Kopfhörer,
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