Das Schwebebahn-Komplott
Soeben wollte Roland Schwarzbach erleichtert nach vorn
blicken und das Tempo der Bahn erhöhen, als er zusammenzuckte:
Eine vermummte Gestalt hockte auf der Brüstung des Parkhauses.
Sie duckte sich an eine der massiven, gelb gestrichenen
Betonsäulen, die das Gebäude stützten. Jedes
Stockwerk des Parkhauses hatte eine eigene Farbe, und wenn
Schwarzbach sich nicht irrte, besaß das erste Obergeschoss
die Farbe Gelb.
Wieder blitzte es
hinter der Betonstütze kurz auf.
Plötzlich wusste
Schwarzbach, was ihn beunruhigt hatte: Der dunkel gekleidete Typ
hielt eine Mündung auf die vorbeifahrende
Schwebebahn.
Eine ...
Mündung?
Ja, es bestand kein
Zweifel: Er blickte in die Mündung einer Schusswaffe. Jetzt
befand sich die Bahn auf gleicher Höhe, direkt neben dem
vermeintlichen Schützen. Der vermummte Knabe riss die Waffe
hoch und setzte an.
Dann überschlugen
sich die Ereignisse: Jemand in der Bahn schrie auf, brüllte
etwas wie: »Der schießt auf uns!«, dann kreischte eine alte
Frau, die hinter dem Fahrerstand saß. Unter den
Fahrgästen brach Chaos aus. Menschen schrien durcheinander,
warfen sich zu Boden, ein kleines, blondes Mädchen vor dem
Gelenk der Bahn weinte lauthals los. Im gleichen Augenblick riss
Schwarzbach den Fahrhebel zurück und löste den
Totmann-Schalter. Die Laufwerke quietschten vernehmlich, Eisen
kreischte, als die Bahn verzögerte. Fast zeitgleich blitzte
das Mündungsfeuer auf, Glas splitterte -direkt neben ihm.
Schwarzbach wurde von umherfliegenden Splittern getroffen und
ließ sich vom Fahrersitz gleiten. Er hoffte, dass das
Glasfasermaterial des Wagenkastens mehr aushielt als die Scheiben.
Der kleine Monitor zu seiner Rechten war getroffen worden. Mit
einem satten Knall implodierte die kleine Bildröhre. Ein
umherfliegendes Teil erwischte Schwarzbach am rechten Ohr. Er
spürte das warme Blut, das über sein erhitztes Gesicht
rann. Das graue Blech des Monitorgehäuses deformierte sich.
Rauch stieg auf und behinderte Roland Schwarzbach die
Sicht.
Ein Irrer hatte es auf
die Schwebebahn abgesehen!
Er legte sich flach
auf den Boden der Bahn, schrie überflüssigerweise in
Richtung Fahrgastraum »Alle hinlegen!« und presste sich
die Hände vor die Ohren.
Von einer Sekunde zur
anderen kehrte eine gespenstische Stille ein.
War es
vorbei?
War alles
vorbei?
*
Programm der
Wupperwelle
»Wie wir soeben
erfahren haben, hat es vor wenigen Minuten einen erneuten
Zwischenfall im Fahrbetrieb der Schwebebahn gegeben. Aus
ungeklärter Ursache blieb ein Zug auf freier Strecke stehen,
kurz nachdem er die Station Alter Markt verlassen hatte.
Möglicherweise handelt es sich um einen kurzzeitigen
Stromausfall. Wie die Stadtwerke uns mitteilten, ruht der
Bahnverkehr bis auf Weiteres.
Unser Kollege Michael
Eckhardt ist für Sie am Alten Markt und meldet sich, sobald es
erste Erkenntnisse gibt.«
*
Ein letzter Schluck
aus der Mineralwasserflasche, ein letztes Räuspern, die Mund-
und Backenmuskulatur dehnen und Sprechübungen vor sich hin
murmeln. Stefan verschwand mit den Manuskripten, dem Musiklaufplan
und diversen CDs im gläsernen Studio des kleinen Senders.
Seufzend ließ er sich auf dem Drehstuhl hinter den Reglern
nieder, ordnete die Blätter zu einem einigermaßen
erträglichen Chaos und setzte die Kopfhörer auf. Stefan
schob eine CD ins Fach, hörte sich probeweise die Ramp an,
stoppte die Zeit. Dann rückte er sich das Mikrofon zurecht und
wartete. Noch liefen die Verkehrsmeldungen nach den Nachrichten,
der Redakteur saß im Nebenstudio. Stefans Blick glitt ins
Leere. Ein letztes Mal sammeln, in wenigen Sekunden war er On
Air.
Just als das Jingle
der Sendung Wuppertreff ertönte, betrat Heike das Studio,
schloss eilig aber leise die Tür und ließ sich auf einen
der freien Stühle sinken. Sie blickte betroffen drein. Sie
wussten noch immer nicht, was am Alten Markt mit der Schwebebahn
geschehen war, doch alles deutete darauf hin, dass jemand auf das
Wahrzeichen der Stadt geschossen hatte. Leider hatte Stefan keine
Zeit, mit Heike darüber zu reden, jetzt war er auf
Sendung.
»Hallo und guten
Tag, hier ist der Wuppertreff. Mein Name ist Stefan Seiler.
Schön, dass Sie da sind. Wir starten mit Chris Rea, und der
ist On The
Beach .« Stefan riss den Regler
des CD-Players viel zu schnell hoch und legte den Kopfhörer
fort. Verflucht - er war unkonzentriert. Aber das war kaum ein Wunder,
immerhin hatte es vor wenigen Minuten ein Unglück der
Schwebebahn gegeben. Genauer
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