Das Schweigen der Laemmer
tief: Ihre Mutter, die am Spülbecken stand, Blut aus dem Hut ihres Vaters auswusch, kaltes Wasser über den Hut laufen ließ und sagte:
»Wir werden in Ordnung sein, Clarice. Sag deinen Geschwistern, sie sollen sich Gesicht und Hände waschen und sich an den Tisch setzen.
Wir müssen reden, und dann werden wir unser Abendessen richten.«
Starling nahm ihr Kopftuch ab, band es sich ums Haar wie eine Berghebamme und nahm ein Paar Chirurgenhandschuhe aus ihrem Köfferchen. Als sie in Potter zum ersten Mal den Mund aufmachte, hatte ihre Stimme einen schärferen Klang als gewöhnlich, und die Kraft dieser Stimme brachte Crawford an die Tür, um zuzuhören. »Meine Herren. Meine Herren! Sie da, Offic ers und Gentlemen! Hören Sie mal eine Minute her. Bitte. Lassen Sie nun mich nach ihr sehen.« Sie hielt ihnen die Hände vors Gesicht, als sie die Handschuhe anzog. »Es gibt da einiges, was wir für sie tun müssen. Sie haben sie von so weit her gebracht, und ich weiß, daß ihre Angehörigen Ihnen danken würden, wenn sie könnten. Nun gehen Sie bitte hinaus, damit ich mich um sie kümmern kann.«
Crawford sah, wie die Männer unverzüglich ruhig und ehrer-bietig wurden und einander flüsternd hinausdrängten: »Los, Jess.
Gehen wir auf den Hof raus.« Und Crawford sah, daß die Atmosphäre sich hier in Gegenwart der Toten verändert hatte: daß der Fluß dieses Opfer, wo immer es herkam, wer immer es sein mochte, in diesen Landstrich gebracht und daß Clarice Starling eine besondere Beziehung zu ihm hatte, während es hilflos in die -
sem Raum lag. Crawford sah, daß Starling an diesem Ort Erbin der Hebammen und der weisen Frauen, der Kräuterheilerinnen und der robusten Landfrauen war, die stets das Nötige getan haben, die die Totenwache halten und, wenn die Wache vorüber ist, die Toten waschen und ankleiden.
Dann waren nur noch Crawford und Starling und der Arzt mit dem Opfer im Raum, und Dr. Akin und Starling sahen einander mit einer Art gegenseitigen Erkennens an. Beide waren auf seltsame Weise erfreut, auf seltsame Weise beschämt.
Crawford nahm ein Glas Wick Vaporub aus der Tasche und reichte es herum. Starling wartete ab, was zu tun sei, und als Crawford und der Doktor es sich um den Rand ihrer Nasenlöcher strichen, machte sie es ihnen nach.
Mit dem Rücken zum Raum grub sie ihre Kameras aus der Ausrüstungstasche auf dem Abtropfbrett. Hinter sich hörte sie, wie der Reißverschluß der Plastikhülle aufgezogen wurde.
Sterling blinzelte die Zentifolien an der Wand an, holte Atem und stieß ihn aus. Sie drehte sich um und sah die Leiche auf dem Tisch an.
»Sie hätten ihr Papiertüten über die Hände streifen sollen«, sagte sie. »Ich ziehe sie ihr über, wenn wir fertig sind.« Starling setzte die Kameraautomatik außer Kraft, um die Belichtung einzugrenzen, und fotografierte die Leiche sorgfältig.
Das Opfer war eine junge Frau mit schweren Hüften, nach Starlings Bandmaß einen Meter siebzig groß. Das Wasser hatte sie dort, wo die Haut fehlte, grau ausgelaugt, doch es war kaltes Wasser gewesen, und sie hatte zweifellos nicht länger als ein paar Tage darin gelegen. Die Leiche war von einer klaren Linie direkt unter den Brüsten bis zu den Knien sauber abgehäutet, etwa die Fläche, die von Hosen und Schärpe eines Stierkämpfers bedeckt wäre.
Ihre Brüste waren klein, und zwischen ihnen, über dem Brustbein, war die offensichtliche Todesursache zu erkennen, eine schartige, sternförmige Wunde, etwa eine Handbreit groß.
Ihr runder Kopf war dicht über den Augenbrauen und Ohren bis zum Nacken auf die Knochen abgehäutet.
»Dr. Lecter hat gesagt, er würde mit Skalpieren anfangen«, sagte Starling.
Crawford stand mit gefalteten Armen da, während sie die Aufnahmen machte. »Nehmen Sie die Ohren mit der Polaroid auf«, war alles, was er sagte.
Er schürzte einzig die Lippen, als er um die Leiche herumging.
Starling streifte ihren Handschuh ab, um mit dem Finger die Wade entlangzufahren. Ein Abschnitt der Trottleine mit den drei-fachen Angelhaken, die sich in der Leiche verhakt und sie in der Flußströmung festgehalten hatten, war noch um das untere Bein gewickelt.
»Was sehen Sie, Starling?«
»Nun, sie ist keine Einheimische - ihre Ohren sind je dreimal durchstochen, und sie trug Glitzernagellack. Sieht mir nach Stadt aus. Sie hat etwa zwei Wochen alten Haarwuchs an den Beinen.
Und sehen Sie, wie weich es nachgewachsen ist? Ich glaube, sie hat sich die Haare an den Beinen mit Wachs
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