Das Schweigen der Laemmer
nahmen ein paar Züge aus einer Haschischpfeife. Die Werbespots wurden länger und kamen häufiger.
»Ich brauch' unbedingt was zwischen die Zähne, willste Popcorn?« sagte sie.
»Ich werd's holen gehen, gib mir deine Schlüssel.«
»Bleib sitzen. Ich muß sowieso sehen, ob Mom angerufen hat.«
Sie stand von der Couch auf, eine große junge Frau, großkno-chig und wohlbeleibt, fast schwer, mit einem hübschen Gesicht und einer Menge sauberem Haar. Sie fand ihre Schuhe unter dem Couchtisch und ging nach draußen.
Der Februarabend war unwirtlich, doch nicht sehr kalt. Ein leichter Nebel vom Mississippi her hing brusthoch über dem riesigen Parkplatz. Direkt über sich konnte sie den erlöschenden Mond sehen, blaß und dünn wie ein knöcherner Angelhaken.
Durch das Hochschauen wurde ihr ein wenig schwindlig. Sie machte sich auf den Weg über den Parkplatz und steuerte stetig auf ihre eigene, knapp hundert Meter entfernte Haustür zu.
Der braune Lieferwagen war zwischen einigen Wohnmobilen und Booten auf Anhängern in der Nähe ihres Apartments geparkt. Er fiel ihr auf, weil er den Paketautos ähnelte, die häufig Geschenke von ihrer Mutter brachten.
Als sie dicht an dem Lieferwagen vorbeiging, wurde im Nebel eine Lampe angeknipst. Es war eine Stehlampe mit einem Schirm, die auf dem Asphalt hinter dem Lieferwagen stand. Unter der Lampe stand ein überaus dickgepolsterter Lehnstuhl in rotge-blümtem Chintz, dessen große rote Blumen im Nebel strahlten.
Die beiden Gegenstände glichen einer Möbelgruppierung in einem Ausstellungsraum.
Catherine Baker Martin blinzelte mehrmals und ging weiter. Sie dachte das Wort surreal und gab der Haschischpfeife die Schuld.
Sie war in Ordnung. Jemand zog ein oder aus. Ein. Aus. In Stonehinge Villas zog immer jemand ein oder aus. In ihrem Apartment bewegte sich der Vorhang, und sie sah ihren Kater auf dem Fen- sterbrett, der einen Buckel machte und die Flanke gegen die Scheibe drückte.
Sie hatte ihren Schlüssel parat, und bevor sie ihn benutzte, schaute sie zurück. Ein Mann kletterte hinten aus dem Lieferwagen. Im Schein der Lampe konnte sie erkennen, daß er einen Gipsverband an der Hand hatte und daß der Arm in einer Schlinge lag.
Sie ging hinein und sperrte die Tür hinter sich ab.
Catherine Baker Martin blickte verstohlen am Vorhang vorbei und sah, wie der Mann versuchte, den Lehnstuhl hinten in den Lieferwagen zu bekommen. Er packte ihn mit seiner gesunden Hand und probierte, ihn mit dem Knie hochzuschieben. Der Stuhl kippte um. Er stellte ihn wieder auf, leckte sich den Finger und rieb an einem Schmutzfleck vom Parkplatz auf dem Chintz.
Sie ging hinaus.
»Ich helf Ihnen damit.« Sie traf genau den richtigen Ton - behilflich und mehr nicht.
»Tatsächlich? Danke.« Eine sonderbare, gezwungene Stimme.
Kein örtlicher Akzent.
Die Stehlampe erhellte sein Gesicht von unten und verzerrte seine Züge, doch seinen Körper konnte sie klar und deutlich sehen. Er trug gebügelte Khakihosen und ein Hemd aus einer Art Sämischleder, über der sommersprossigen Brust aufgeknöpft.
Sein Kinn und seine Wangen waren unbehaart, so glatt wie die einer Frau, und seine Augen waren in den Schatten der Lampe nur winzige schimmernde Punkte über den Wangenknochen.
Er sah sie ebenfalls an, und sie reagierte empfindlich darauf.
Männer waren häufig über ihre Größe erstaunt, wenn sie sich ihnen näherte, und einige verbargen es besser als andere.
»Gut«, sagte er.
Dem Mann haftete ein unangenehmer Geruch an, und angewidert stellte sie fest, daß an seinem Sämischlederhemd noch Haare hingen. Lockige Haare über den Schultern und unter den Armen.
Es war leicht, den Stuhl auf den niedrigen Boden des Lieferwagens zu heben.
»Wir wollen ihn nach vorne schieben, wären Sie so nett?« Et kletterte hinein und schob etwas Krimskrams beiseite, die großen flachen Pfannen, die man unter ein Fahrzeug schieben kann, um das öl abfließen zu lassen, und eine kleine Handwinde namens Sargheber.
Sie stießen den Stuhl vorwärts, bis knapp hinter die Sitze.
»Tragen Sie ungefähr Größe 42?« fragte er.
»Was?«
»Würden Sie mir jenes Seil reichen? Es liegt direkt vor Ihren Fü-
ßen.«
Als sie sich hinunterbeugte, ließ er den Gipsverband auf ihren Hinterkopf sausen. Sie dachte, sie hätte sic h den Kopf angeschla -
gen, und hob die Hand zu der vermeintlichen Beule, als der Gips erneut herunterkam und ihr die Finger gegen den Schädel quetschte, und nochmal herunter, diesmal
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