Das Schweigen der Laemmer
äußerst realen Probleme vor.
Der Umgang mit der menschlichen Haut ist verteufelt schwie -
rig, wenn man so hohe Ansprüche wie die von Mr. Gumb stellt. Es gilt, wesentlic he Entscheidungen struktureller Natur zu treffen, und die erste ist, wo man den Reißverschluß anbringt.
Er läßt den Strahl an Catherines Rücken hinuntergleiten. Normalerweise würde er den Verschluß am Rücken anbringen, doch wie könnte er es dann allein anziehen? Er kann doch keinen bitten, ihm bei so einer Sache zu helfen, so erregend diese Aussicht auch sein mochte. ER kennt Orte, Kreise, wo man seine Bemühungen sehr bewundern würde - es gibt gewisse Jachten, wo er sich damit interessant machen könnte -, doch das wird warten müssen. Er muß Sachen haben, die er allein benutzen kann. Die Vorderseite in der Mitte aufzuschlitzen, wäre ein Sakrileg - das schlägt er sich gleich aus dem Kopf.
Bei Infrarotlicht kann Mr. Gumb nichts über Catherines Aussehen sagen, aber sie sieht dünner aus. Er ist überzeugt, daß sie gerade eine Diät machte, als er sie gefangennahm.
Erfahrung hat ihn gelehrt, vier Tage bis zu einer Woche vor dem Einheimsen der Haut zu warten. Durch plötzlichen Gewichtsver-lust wird die Haut lockerer und läßt sich leichter abziehen. Zusätzlich verlieren seine Versuchspersonen durch Hungern Kraft, wodurch sie handlicher werden. Fügsamer. Manche überkommt eine stumpfsinnige Resignation. Gleichzeitig ist es notwendig, ein paar Rationen zur Verfügung zu stellen, um Verzweiflung und zerstörerische Wutanfälle zu verhindern, die die Haut beschädigen könnten.
Es hat eindeutig abgenommen. Dieses hier ist für das, was er tut, von so großer Bedeutung, so sehr Mittelpunkt, daß er es nicht aushält, lang zu warten, was er ja auch nicht muß. Er kann es mor- gen nachmittag tun oder morgen abend. Allerspätestens am nächsten Tag. Bald.
34. Kapitel
Clarice Starling erkannte das Schild Stonehinge Villas von den Fernsehnachrichten wieder. Der Gebäudekomplex in East Memphis, eine Mischung aus Etagenwohnungen und Reihenhäusern, bildete ein großes U um einen Parkplatz herum.
Starling parkte ihren gemieteten Chevrolet Celebrity mitten auf dem großen Parkplatz. Gutbezahlte Fabrikarbeiter und Angestellte der unteren Ränge wohnten hier- das sagten ihr die Trans-Ams und IROC-Z Camaros. Wohnmobile für die Wochenenden und grell mit Glitzerfarbe angestrichene Wasserskiboote waren auf ihrem eigenen Abschnitt des Parkplatzes abgestellt.
Stonehinge Villas - die Rechtschreibung tat Starling jedesmal weh, wenn sie das Schild ansah. Die Apartments waren wahrscheinlich voll von weißen Korbmöbeln und pfirsichfarbenem Plüsch. Schnappschüsse unter dem Glas des Couchtischs. Das Dinner for Two Cookbook und Fondue on the Menue. Starling, deren Wohnung ein Zimmer im Studentenwohnheim der FBI-Akademie war, war eine strenge Kritikerin derartiger Dinge.
Sie mußte Catherine Baker Martin kennenlernen, und dies schien ein sonderbarer Wohnort für die Tochter einer Senatorin.
Starling hatte das kurzbiographische Material gelesen, das das FBI gesammelt hatte, und es stellte Catherine Martin als intelligente Person dar, die schlechter abgeschnitten hatte als erwartet. Sie war am Farmington durchgerasselt und hatte zwei unglückliche Jahre am Middlebury verbracht. Nun studierte sie an der Southwestern University und war Lehramtsanwärterin.
Starling hätte sich mühelos ein Bild von ihr als selbstversunke-nem abgestumpften Internatszögling machen können, eine der Personen, die nie zuhören. Starling wußte, daß sie hier vorsichtig sein mußte, da sie ihre eigenen Vorurteile und Ressentiments hatte. Starling hatte ihre Zeit in Internaten absolviert, von Stipendien gelebt, ihre Noten besser als ihre Kleidung. Sie hatte eine Menge Jugendliche aus reichen, gestörten Familien mit zuviel In-ternatszeit gesehen. Sie kümmerte sich keinen Deut um einige von ihnen, doch sie war allmählich zu der Erkenntnis gelangt, daß Unaufmerksamkeit ein Trick sein konnte, um Schmerz zu vermeiden, und daß sie häufig als Oberflächlichkeit und Gleichgültigkeit mißdeutet wird.
Besser, sich Catherine als Kind mit ihrem Vater beim Segeln vorzustellen, wie sie das in dem Film tat, den sie mit Senatorin Martins Bitte im Fernsehen gezeigt hatten. Sie fragte sich, ob Catherine versuchte, ihrem Vater zu gefallen, als sie klein war. Sie überlegte, womit Catherine beschäftigt war, als man kam und ihr erklärte, daß ihr Vater tot sei, mit zweiundvierzig
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