Das Schweigen der Laemmer
dachte über etwas anderes nach - Gericualts anatomische Studien für Das Floß der Medusa -
und wenn er die Fragen hörte, die folgten, zeigte er es nicht.
Als Senatorin Martin seine Aufmerksamkeit wiedererlangte, waren sie allein im Zimmer. Sie hatte Gossages Block.
Dr. Lecters Blick konzentrierte sich auf sie. »Dieser Raum hier riecht nach Zigarren«, sagte er. »Haben Sie Catherine die Brust gegeben?«
»Wie bitte? Habe ich...«
»Haben Sie sie gestillt?« »Ja.«
»Durstige Arbeit, nic ht wahr...?«
Als ihre Pupillen sich verdunkelten, nahm Dr. Lecter einen einzigen Schluck ihres Schmerzes und fand ihn köstlich. Für heute reichte das. Er fuhr fort: »William Rubin ist etwa ein Meter fünfundachtzig groß und dürfte nun fünfundreißig Jahre alt sein.
Er ist kräftig gebaut — ungefähr sechsundachtzig Kilo, als ich ihn kannte, und vermutlich hat er in der Zwischenzeit zugenommen. Er hat braunes Haar und hellblaue Augen. Geben Sie ihnen erst einmal das, und dann machen wir weiter.«
»Ja, das werde ich tun«, sagte Senatorin Martin. Sie reichte ihre Notizen aus der Tür hinaus.
»Ich habe ihn nur einmal gesehen. Er machte einen weiteren Termin aus, aber er ist nie wiedergekommen.«
»Warum halten Sie ihn für Buffalo Bill?«
»Er hat schon damals Menschen umgebracht und ähnliche Dinge mit ihnen angestellt, anatomisch gesehen. Er sagte, er wolle Hilfe, um aufzuhören, doch in Wirklichkeit wollte er nur darüber schwafeln. Schwatzen.«
»Und Sie haben nicht - er war sich sicher, daß Sie ihn nicht an-zeigen würden?«
»Er hat nicht geglaubt, daß ich das täte, und er geht gern Risiken ein. Ich hatte die vertraulichen Mitteilungen seines Freunds Raspail respektiert.«
»Raspail hat gewußt, daß er dies tat?«
»Raspails Gelüste gingen ins Zwielichtige - er war mit Narben bedeckt.
Billy Rubin gestand mir, er hätte eine Vorstrafe, aber keine Details. Ich nahm eine kurze Krankengeschichte auf. Sie war nicht außergewöhnlich, bis auf eins: Rubin erzählte mir, daß er einmal an Elefantenelfenbeinanthrakose litt. Das ist alles, woran ich mich erinnere, Senatorin Martin, und ich nehme an, Sie möchten gern gehen. Wenn mir noch irgend etwas in den Sinn kommt, gebe ich Ihnen Nachricht.«
»Hat Billy Rubin die Person umgebracht, deren Kopf im Wagen war?«
»Ich glaube ja.«
»Wissen Sie, wer das ist?« »Nein. Raspail hat ihn Klaus genannt.«
»Sind die anderen Dinge, die Sie dem FBI gesagt haben wahr gewesen?«
»Zumindest so wahr wie das, was das FBI mir gesagt hat, Senatorin Martin.«
»Ich habe hier in Memphis einige provisorische Anordnungen für Sie getroffen. Wir werden über Ihre Situation reden, und Sie werden nach Brushy Mountain gebracht, wenn dies... wenn wir es geregelt haben.«
»Danke. Ich hätte gern ein Telefon, wenn mir etwas einfällt...«
»Das bekommen Sie.«
»Und Musik. Glenn Gould, die Goldberg-Variationen! Wäre das zuviel verlangt?«
»Fein.«
»Senatorin Martin, vertrauen Sie die Führung nicht einzig dem FBI an. Jack Crawford spielt mit den anderen Dienststellen nie fair. Es ist ja so ein Spiel mit diesen Leuten. Er ist entschlossen, die Festnahme selbst durchzuführen.«
»Danke, Dr. Lecter.«
»Einfach Klasse, Ihr Kostüm«, sagte er, als sie aus der Tür ging.
33. Kapitel
Raum um Raum windet Jame Gumbs Keller sich dahin wie das Labyrinth, das uns in Träumen einen Strich durch die Rechnung macht. Als Mr. Gumb noch schüchtern war, vor vielen, vielen Leben, vergnügte er sich in den verborgensten Räumen, weit weg von der Treppe. Es gibt Räume in den entferntesten Ecken, Räume aus anderen Leben, die Gumb seit Jahren nicht geöffnet hat. Einige von ihnen sind noch bewohnt, sozusagen, auch wenn die Geräusche von hinter den Türen vor langer Zeit am lautesten waren und sich dann in Schweigen verloren.
Die Ebenen der Böden variieren von Raum zu Raum bis zu drei-
ßig Zentimetern. Es gibt Türschwellen, über die man schreiten, Türstürze, unter denen man sich ducken muß. Lasten sind un-möglich zu rollen und lassen sich nur mit Mühe ziehen. Etwas vor einem her marschieren zu lassen - wobei es stolpert und weint, bettelt und sich den benommenen Kopf anschlägt -, ist schwierig, sogar gefährlich.
Als Mr. Gumb klüger wurde und mehr Vertrauen entwickelte, hatte er nicht mehr das Gefühl, seine Bedürfnisse in den verborge-nen Teilen des Kellers befriedigen zu müssen. Er benutzte nun eine Flucht von Räumen um die Treppe herum, große Räume mit
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