Das Schweigen der Laemmer
Starling. Sie nahm eine Pinzette aus ihrer Handtasche und schob damit das Blatt kolorierten Papiers in einen Plastikumschlag, den sie vorerst aufs Bett legte.
Das Schmuckkästchen auf der Kommode war aus geprägtem Leder, die Art, die man im Zimmer eines jeden Mädchens in einem Studentenwohnheim sieht. Die beiden Schubladen vorn und der in Reihen angeordnete Deckel enthielten Modeschmuck, keine wertvollen Stücke. Starling überlegte, ob die besten Stücke in der Küche in dem Kohlkopf aus Gummi im Kühlschrank waren, und wenn ja, wer sie genommen hatte.
Sie hakte den Finger unter die Seite des Deckels und gab das Geheimfach hinten am Schmuckkästchen frei. Das Geheimfach war leer. Sie fragte sich, vor wem die se Fächer ein Geheimnis waren-gewiß nicht vor Einbrechern. Sie langte hinter die Schmuckschatulle und schob das Fach wieder hinein, als ihre Finger den an die Unterseite des Geheimfachs geklebten Umschlag berührten.
Starling streifte ein Paar Baumwollhandschuhe über und drehte die Schmuckschatulle um. Sie nahm das leere Fach heraus und kippte es um. Ein brauner Umschlag war mit Kreppband an den Boden des Fachs geklebt. Die Verschlußklappe war nur ein steckt, nicht zugeklebt. Sie hielt das Papier dicht an die Nase. Der Umschlag war nicht auf Fingerabdrücke untersucht worden. Starling benutzte die Pinzette, um ihn zu öffnen und den Inhalt herauszuziehen. In dem Umschlag waren fünf Polaroidbilder, und sie nahm sie einzeln heraus. Die Fotos zeigten einen Mann und eine Frau beim Beischlaf. Weder Köpfe noch Gesichter waren zu sehen. Zwei der Bilder waren von der Frau aufgenommen, zwei von dem Mann, und eins war allem Anschein nach von dem auf dem Nachttisch aufgestellten Stativ geschossen worden.
Es war schwer, Umfang auf einem Foto zu beurteilen, doch bei diesen spektakulären 65 Kilo und dieser Größe mußte die Frau Catherine Martin sein. Der Mann trug so etwas wie einen ge-schnitzten Elfenbeinring auf seinem Penis. Die Rasterung des Bilds war nicht scharf genug, um die Einzelheiten zu enthüllen., Starling packte jedes der Bilder in einen Brotbeutel und steckte diese in ihren eigenen braunen Umschlag. Das Fach schob sie wie -
der ins Schmuckkästchen.
»Ich habe die guten Sachen in meiner Brieftasche«, sagte eine Stimme hinter ihr. »Ich glaube nicht, daß irgend etwas entwendet wurde.«
Starling schaute in den Spiegel. Senatorin Martin stand in der Schlafzimmertür. Sie sah erschöpft aus.
Starling drehte sich um. »Hallo, Senatorin Martin. Möchten Sie sich gern hinlegen? Ich bin fast fertig.« , Selbst in erschöpftem Zustand hatte Senatorin Martin sehr viel Ausstrahlung. Hinter ihrer sorgfältigen äußeren Erscheinung sah Starling einen Raufbold.
»Wer sind Sie, bitte? Ich dachte, die Polizei wäre hier drin fertig-«
»Ich bin Clarice Starling, FBI. Haben Sie mit Dr. Lecter gesprochen, Senatorin?«
»Er hat mir einen Namen genannt.« Senatorin Martin zündete sich eine Zigarette an und musterte Starling von oben bis unten.
»Wir werden sehen, was er wert ist. Und was haben Sie in dem Schmuckkästchen gefunden, Officer Starling? Was ist das wert ?«
»In der Schmuckschatulle meiner Tochter? Das wollen wir uns mal ansehen.«
Starling hörte Stimmen im Nebenzimmer und hoffte auf eine Unterbrechung. »Ist Mr. Copley mit Ihnen hier, der Sonderagent aus Memphis in -«
»Nein, und das ist keine Antwort. Nichts für ungut, Officer, aber ich werde sehen, was Sie aus dem Schmuckkästchen meiner Ibdlter herausgeholt haben.« Sie drehte den Kopf und rief über die Schulter: »Paul. Paul, würden Sie bitte hier hereinkommen?
Officer Starling, Sie kennen Mr. Krendler vielleicht vom Justizministerium. Paul, dies ist das Mädchen, das Jack Crawford zu Lecter reingeschickt hat.«
Krendlers kahle Stelle war gebräunt, und für vierzig sah er fit aus.
»Mr. Krendler, ich weiß, wer Sie sind. Hallo«, sagte Starling.
Kongreßverbindung der Kriminalabteilung des Justizministeriums, Friedensstifter, mindestens Stellvertretender Justizminister, lieber Gott, steh mir bei.
»Officer Starling hat etwas in der Schmuckschatulle meiner Tochter gefunden, und sie hat es in ihren braunen Umschlag gesteckt. Wir wollen doch lieber mal sehen, was das ist, meinen Sie nicht auch?«
»Officer«, sagte Krendler.
»Kann ich Sie sprechen, Mr. Krendler?«
»Natürlich. Später.« Er streckte die Hand aus.
Sterlings Gesicht war heiß. Sie wußte, daß Senatorin Martin nfcht ganz auf der Höhe war, doch Krendler
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