Das Schweigen der Laemmer
haben. Dafür hätten Sie eine Suite im Peabody bekommen müssen. Dr. Lecter, wenn Sie ihn kennengelernt haben, wissen Sie über ihn Bescheid. Ich glaube, Sie haben ihn vielleicht gar nicht kennengelernt, sondern Raspail hat Ihnen von ihm erzählt. Ware aus zweiter Hand ließe sich nicht so gut an Senatorin Martin verkaufen, oder?«
Starling warf einen raschen Blick über die Schulter. Einer der Beamten zeigte dem anderen gerade etwas in der Zeitschrift Guns
& Ammo. »In Baltimore hatten Sie mir mehr zu sagen, Dr. Lecter.
Das war wohl reell. Erzählen Sie mir den Rest.«
»Ich habe die Fälle gelesen, Clarice, Sie auch? Es steht alles drin, was Sie wissen müssen, um ihn zu finden, wenn Sie aufmerksam sind. Sogar Inspektor Emeritus Crawford hätte das rauskriegen müssen. Nebenbei bemerkt, haben Sie Crawfords verblüffende Rede gelesen, die er letztes Jahr vor der Nationalen Polizeiakade-mie hielt? Über Mark Aurel und Pflicht, Ehre und innere Kraft zu salbadern - wir werden sehen, was für eine Art von Stoiker Crawford ist, wenn Bella stirbt. Er entlehnt seine Philosophie wohl Bart-lett's Familiär. Verstünde er Mark Aurel, so würde er seinen Fall unter Umständen lösen.«
»Sagen Sie mir, wie.«
»Wenn Sie diese merkwürdigen Anfälle von Denken in Zusammenhängen zeigen, vergesse ich, daß Ihre Generation nicht lesen kann, Clarice. Der Kaiser rät zu Schlichtheit. Erste Grundsätze.
Frage bei jedem einzelnen Ding: Was ist es an sich, in seiner eigenen Struktur? Was ist seine kausale Natur?«
»Das sagt mir nichts.«
»Was macht dieser Mann, den Sie suchen?«
»Er tötet —«
»Ah —«, sagte er scharf und wandte das Gesicht einen Moment von ihrer Starrköpfigkeit ab. »Das ist Zufall. Was kommt davor, was macht er grundsätzlich, welchem Zweck dient er durch Tö-
ten?«
»Zorn, soziale Ablehnung, sexueller Frust -«
»Nein.«
»Was dann?«
»Er begehrt. In der Tat begehrt er, gerade das zu sein, was Sie sind. Es ist seine Natur, zu begehren. Wie beginnen wir zu begehren, Clarice? Suchen wir uns Dinge zum Begehren aus? Bemühen Sie sich um eine Antwort.«
»Nein. Wir -«
»Nein. Genau. Wir beginnen, alles zu begehren, was wir täglich sehen. Spüren Sie nicht, wie jeden Tag bei gelegentlichen Begeg-nungen Blicke über Sie gleiten, Clarice? Ich kann kaum verstehen, wie Sie das nicht spüren können. Und wandern Ihre Blicke nicht auch über Dinge?«
»Na gut, dann sagen Sie mir, wie -«
»Nun ist es an Ihnen, mir etwas zu sagen, Clarice. Sie können mir keine Strandferien auf der Station für Maul- und Klauenseuche mehr anbieten. Ab hier ist es strikt quid pro quo. Ich muß vorsichtig sein, Geschäfte mit Ihnen zu machen. Sagen Sie's mir.«
»Was soll ich Ihnen sagen?«
»Die zwei Dinge, die Sie mir noch schulden. Was mit Ihnen und dem Pferd geschah, und was Sie mit Ihrem Ärger machen.«
»Dr. Lecter, wenn noch Zeit ist, werde ich -«
»Wir rechnen Zeit nicht nach dem gleichen Maß, Clarice. Dies ist die einzige Zeit, die Sie je haben werden.«
»Später, hören Sie, ich werde -«
»Ich werde jetzt zuhören. Zwei Jahre nach dem Tod Ihres Vaters schickte Ihre Mutter Sie zu ihrer Cousine und deren Mann auf eine Ranch in Montana. Sie waren zehn Jahre alt. Sie entdeckten, daß sie Schlachtpferde mästeten. Sie liefen mit einem Pferd davon, das nicht sehr gut sehen konnte. Und?«
»- Es war Sommer, und wir konnten im Freien schlafen. Auf einer abgelegenen Landstraße kamen wir bis Bozeman.«
»Hatte das Pferd einen Namen?«
»Wahrscheinlich, aber sie - man erfährt das aber nicht, wenn man Schlachtpferde mästet. Ich nannte die Stute Hannah, das schien ein guter Name.«
»Haben Sie sie geführt, oder sind Sie geritten?«
»Ein bißchen von beidem. Ich mußte Sie neben einen Zaun führen, um aufzusitzen.«
»Sie sind nach Bozeman geritten und zu Fuß gegangen.«
»Es gab dort einen Stall für Mietpferde, eine Ferienranch, eine Art Reitakademie vor den Toren der Stadt. Ich versuchte dafür zu sorgen, daß sie Hannah behielten. Es kostete zwanzig Dollar pro Woche für den Korral. Für einen Stall mehr. Sie erkannten sofort, daß sie blind war. Ich sagte, okay, ich werde sie herumführen.
Kleine Kinder können auf ihr reiten, und ich werde sie herumführen, während ihre Eltern, na ja, richtig beim Reiten sind. Ich kann hierbleiben und Ställe ausmisten. Einer von ihnen, der Mann, war mit allem einverstanden, was ich sagte, aber seine Frau rief den Sheriff an.«
»Der Sheriff war
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