Das Schweigen der Laemmer
»Ich werd's Ihnen sagen.«
»Versprechen Sie es?«
»Ja.«
»Warum den Bogen also nicht fertigbauen? Nehmen Sie Ihre Akte über den Fall mit, Clarice, ich brauche sie nicht mehr.« Mit ausgestrecktem Arm hielt er sie durch die Gitter, den Zeigefinger am Rücken der Akte. Sie langte über die Schranke und nahm sie.
Eine Sekunde berührte die Spitze ihres Zeigefingers den von Dr. Lecter. Die Berührung verursachte ein knisterndes Funkeln in seinen Augen.
»Danke, Clarice.«
»Danke, Dr. Lecter.«
Und so blieb er Starling in Erinnerung. In dem Augenblick gefangen, in dem er nicht spottete. In seiner weißen Zelle stehend, in der Pose eines Tänzers, die Hände vor sich gefaltet und den Kopf leicht zur Seite geneigt.
Am Flughafen raste sie in solchem Tempo über eine Boden-schwelle zur Geschwindigkeitsbegrenzung, daß sie mit dem Kopf an die Decke des Wagens knallte. Sie mußte rennen, um das Flugzeug zu erwischen, das sie auf Krendlers Befehl nehmen mußte.
36. Kapitel
Die Beamten Pembry und Boyle waren erfahrene Männer, die eigens aus dem Brushy Mountain State Prison abgestellt worden waren, um Dr. Lecters Aufsichtsbeamte zu sein. Sie waren ruhig und sorgsam und hatten nicht das Gefühl, daß Dr. Chilton ihnen ihren Job erklären mußte.
Sie waren vor Lecter angekommen und untersuchten die Zelle sehr genau. Als Dr. Lecter in das alte Gerichtsgebäude gebracht wurde, untersuchten sie ihn ebenfalls. Er mußte sich, noch immer gefesselt, einer internen Leibesvisitation durch einen männlichen Krankenpfleger unterziehen. Seine Kleidung wurde gründlich durchsucht, und mit einem Metalldetektor überprüfte man die Nähte. Bei seiner Untersuchung gelangten Boyle und Pembry zu einer Einigung mit ihm; in leisen, zivilen Tönen flüsterten sie ihm ins Ohr:
»Dr. Lecter, wir können prima miteinander auskommen. Wir behandeln Sie genauso gut wie Sie uns. Benehmen Sie sich wie ein Gentleman, und Sie kriegen einen Bonbon. Wir machen aber nicht mit Ihnen herum, Freundchen. Versuchen Sie zu bei-
ßen, und wir polieren Ihnen die Fresse. Sieht aus, als ob es Ihnen hier gutgehen könnte. Das wollen Sie doch nicht versauen, oder?« Dr. Lecter blinzelte ihnen überaus freundlich zu. Wäre er geneigt gewesen, zu antworten, so hätte das Metallröhrchen zwischen seinen Backenzähnen ihn daran gehindert, als der Krankenpfleger ihn mit einer Taschenlampe in den Mund leuchtete und mit einem behandschuhten Finger seine Wangen abtastete.
Bei seinen Wangen piepste der Metalldetektor.
»Was ist das?« fragte der Krankenpfleger.
»Zahnfüllungen«, sagte Pembry. Zieh seine Lippe dort zu-rück. Schon ganz schön alt, die da hinten, was, Doc?«
»Scheint mir ein ziemlich armes Schwein«, vertraute Boyle Pembry an, nachdem sie Dr. Lecter sicher in seiner Zelle hatten.
»Wenn er nicht ausflippt, wird er uns keine Schwierigkeiten machen.«
Die Zelle war zwar sicher und stabil, hatte aber kein Schiebetablett für Essen. Zur Mittagszeit, in der unangenehmen Atmosphäre nach Starlings Besuch, bereitete Dr. Chilton jedermann Ungelegenheiten. Boyle und Pembry ließ er die lange Sicherheits-prozedur durchexerzieren, bei der sie dem willfährigen Dr. Lecter die Zwangsjacke und die Fußfesseln anlegten, während er mit dem Rücken zu den Gitterstäben dastand; Chilton hielt die chemische Keule, bevor sie die Tür öffneten, um sein Tablett hineinzu-tragen.
Chilton weigerte sich, Boyles und Pembrys Namen zu benutzen, obwohl sie Namensschilder trugen, und sprach sie ohne Unterschied mit »Sie, da« an.
Für ihren Teil war er »nur eine Art gottverdammter Lehrer«, wie Boyle zu Pembry bemerkte, nachdem die Aufsichtsbeamten ge-hört hatten, daß Chilton kein richtiger Doktor war.
Einmal versuchte Pembry Chilton zu erklären, daß Starlings Besuch nicht von ihnen, sondern vom Empfang unten genehmigt worden war, erkannte aber, daß es bei Chiltons Wut nicht von Bedeutung war.
Beim Abendessen fehlte Dr. Chilton und mit Dr. Lecters passiver Zusammenarbeit brachten Boyle und Pembry sein Tablett nach ihrer eigenen Methode in die Zelle. Es klappte bestens.
»Dr. Lecter, heute abend brauchen Sie Ihr Dinnerjacket nicht«, sagte Pembry. »Ich werde Sie bitten, sich auf den Boden zu setzen und rückwärts zu rutschen, bis Sie mit geraden Armen die Hände durch das Gitter strecken können. Jawohl. Noch ein bißchen weiter und die Arme noch weiter nach hinten ausstrecken, die Ellbogen durchgedrückt.« Mit einer Stange zwischen seinen Armen und einer
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