Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Schweigen der Laemmer

Das Schweigen der Laemmer

Titel: Das Schweigen der Laemmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Harris
Vom Netzwerk:
Querstange über ihnen fesselte Pembry Dr. Lecter mit Handschellen außen fest ans Gitter. »Das tut'n bißchen weh, was?
    Ich weiß, aber sie bleiben auch nur 'ne Minute dran, erspart uns beiden viel Ärger.«
    Dr. Lecter konnte nicht aufstehen, geschweige denn in die Hocke gehen, und mit den auf dem Boden vor ihm ausgestreckten Beinen konnte er auch nicht treten.
    Erst als Dr. Lecter gefesselt war, kehrte Pembry zum Schreibtisch zurück, um den Schlüssel zur Zellentür zu holen. Pembry ließ seinen Schlagstock in den Ring an der Taille gleiten, steckte einen Behälter chemische Keule in seine Tasche und kehrte zur Zelle zurück. Er öffnete die Tür, und Boyle trug das Tablett hinein.
    Nachdem die Tür gesichert war, brachte Pembry den Schlüssel zum Schreibtisch zurück, ehe er Dr. Lecter die Fesseln abnahm.
    Während der Doktor sich frei in der Zelle bewegte, war Pembry zu keinem Zeitpunkt mit dem Schlüssel in der Nähe der Gitterstäbe.
    »Na, das war doch ziemlich einfach, oder?« sagte Pembry.
    »Es war sehr bequem, danke, Officer«, entgegnete Dr. Lecter.
    »Wissen Sie, ich versuche nur zurechtzukommen.«
    »Wir alle, Bruder«, sagte Pembry.
    Dr. Lecter spielte mit seinem Essen, während er mit einem Filzstift auf seinem Block schrieb, zeichnete und herumkritzelte. Er drehte die Kassette in dem an das Tischbein geketteten Recorder um und drückte auf die Abspieltaste. Glenn Gould spielte Bachs Goldberg-Variationen auf dem Klavier. Die Musik, zeitlos schön und dem Alltag entrückt, erfüllte den hellen Käfig und das Zimmer, in dem die Aufsichtsbeamten saßen.
    Für Dr. Lecter, der still am Tisch sah, wurde die Zeit langsamer und dehnte sich wie in Bewegung. Für ihn zogen die Noten auseinander, ohne das Tempo zu verlieren. Selbst Bachs silbrige Sprünge waren diskrete Noten, die glitzernd von dem Stahl um ihn herum abprallten. Geistesabwesend erhob Dr. Lecter sich und beobachtete, wie seine Papierserviette von den Oberschenkeln auf den Boden glitt. Die Serviette segelte längere Zeit durch die Luft, streifte das Tischbein, flatterte, rutschte seitwärts, hielt inne und drehte sich um, bevor sie auf dem Stahlboden zur Ruhe kam.
    Er bemühte sich nicht, sie aufzuheben, sondern spazierte zur anderen Seite der Zelle, ging hinter den Papierschirm und setzte sich auf den Deckel seiner Toilette, seinem einzigen privaten Platz.
    Der Musik lauschend, stützte er sich, das Kinn in der Hand und die sonderbaren kastanienfarbenen Augen halb geschlossen, seit-lich auf das Waschbecken. Die Goldberg-Variationen interessierten ihn von der Struktur her. Hier kam es wieder, die Bass-Sequenz von der Sarabande in mehrfacher Wiederholung. Er nickte zur Musik und fuhr sich mit der Zunge über die Ränder seiner Zähne, erst oben, dann unten entlang. Es war eine lange und interessante Reise für seine Zunge, wie eine schöne Wanderung in den Alpen.
    Nun machte er dasselbe mit dem Zahnfleisch, ließ die Zunge hoch in die Spalte zwischen Wange und Zahnfleisch gleiten und bewegte sie langsam herum, wie einige Männer das tun, wenn sie beim Grübeln sind. Sein Zahnfleisch war kühler als seine Zunge.
    In der Spalte oben war es kühl. Als seine Zunge das Metallröhrchen erreichte, hielt sie an.
    Über die Musik hörte er den Aufzug rasseln und surren, als dieser sich in Bewegung setzte. Viele musikalische Töne später öffnete die Aufzugstür sich, und eine ihm unbekannte Stimme sagte:
    »Ich soll das Tablett holen.«
    Dr. Lecter hörte den Kleineren, Pembry, kommen. Er konnte den Schlitz zwischen den Paneelen in seinem Schirm sehen. Pembry stand bei den Stangen.
    »Dr. Lecter. Kommen Sie und setzen Sie sich mit dem Rücken zum Gitter auf den Boden wie vorhin.«
    »Officer Pembry, hätten Sie was dagegen, wenn ich hier zum Ende komme? Ich fürchte, die Reise hat meine Verdauung ein wenig durcheinandergebracht.« Es dauert sehr lange, das zu sagen.
    »Na gut.« Pembry rief durch den Raum. »Wir rufen unten an, wenn wir es haben.«
    »Kann ich ihn mal sehen?«
    »Wir rufen dich an.«
    Wieder der Aufzug und dann nur die Musik.
    Dr. Lecter nahm das Röhrchen aus dem Mund und trocknete es an einem Stück Klopapier ab. Seine Hände waren ruhig, seine Handflächen völlig trocken. In den Jahren der Haft hatte Dr. Lecter in seiner nicht enden wollenden Wißbegier viele der geheimen Gefängniskünste gelernt. In all den Jahren, nachdem er der Krankenschwester in der Baltimorer Anstalt übel mitgespielt hatte, hatte es nur zwei Lük-ken in dem

Weitere Kostenlose Bücher