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Das Schweigen der Miss Keene (German Edition)

Das Schweigen der Miss Keene (German Edition)

Titel: Das Schweigen der Miss Keene (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Klassen
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gesprochen?« Edward spürte Zorn in sich aufsteigen, aber er wusste, dass das wenig mit der Tatsache zu tun hatte, dass Miss Keene ein paar Worte zu seinem Vater gesagt hatte. Was ihn in Wirklichkeit ärgerte, war die Art, wie sein Vater darauf reagiert hatte. Wenn er ehrlich war, dann ärgerte er sich auch über seine eigene Reaktion.
    »Es tut mir leid – wirklich und wahrhaftig. Aber wie Mrs Howe gesagt hat, Ihr Vater war verstört. Er erinnert sich vielleicht nicht mehr deutlich an den Vorfall von gestern Abend. Er braucht mich nie mehr zu sehen und wird die Geschichte vergessen.«
    »Au contraire«, sagte er affektiert. »Er wünscht Sie morgen Nachmittag zu sehen.«

17
     
Der Leichenbestatter sorgte normalerweise für professionelle Trauernde oder schwarz gekleidete »Stumme«, die dabei standen und der Angelegenheit Würde verliehen.
Daniel Poole, What Jane Austen Ate and Charles Dickens Knew
     
    Olivia strich das Oberteil des dunkelblauen Kleides mit bebenden Fingern glatt, als sie an diesem Nachmittag die Treppe hinunterstieg und die Eingangshalle durchquerte, um zur Bibliothek zu gelangen. Becky war an ihrer Stelle mit den Kindern nach draußen gegangen. Olivia hätte sie viel lieber begleitet, als sich zu ihrem verabredeten Treffen mit dem Earl von Brightwell zu begeben. Was konnte er von ihr wollen? Sicher lag Lord Bradley mit seinen Andeutungen völlig daneben. Sie schauderte. Nein, es war unmöglich. Der Earl konnte ihr Mitgefühl nicht auf diese Weise missdeutet haben.
    Sie holte tief Luft und klopfte.
    »Herein.«
    Sie betrat den Raum und schloss die Tür mit pochendem Herzen hinter sich. Würde er ihr eine Rüge erteilen oder Schlimmeres?
    Der Earl saß in einem der Lehnstühle in der Nähe des Kamins, erhob sich jedoch bei ihrem Eintreten. »Bitte«, er winkte sie zu sich, »kommen Sie her, mein Kind. Sie haben nichts von mir zu befürchten.«
    Olivia schluckte und bewegte sich vorwärts. Als sie näher kam, musterte Lord Brightwell sie eindringlich und sein Gesicht trug den gleichen ungläubigen Ausdruck wie bei ihrer ersten Begegnung. Hatte er nicht darum gebeten, sie zu sehen?
    Er forderte sie in ruhigem Ton auf: »Bitte setzen Sie sich.«
    Sie gehorchte und faltete die feuchten Hände in ihrem Schoß.
    Er räusperte sich. »Miss Keene, mein Sohn hat mir berichtet, unter welchen Umständen Sie zu uns gekommen sind. In meiner Gegenwart müssen Sie nicht schweigen.« Seine Stimme war sanft und sie bemerkte, wie geschickt er seine Worte gewählt hatte.
    Erneut spürte sie einen Stich der Reue. »Mylord, es war nicht meine Absicht zu lauschen.«
    Er hob eine Hand. »Das ist nicht der Grund, weshalb ich Sie hergebeten habe. Und obwohl ich nicht völlig mit Edwards Vorgehen übereinstimme, weiß ich, dass ihm das Wohlergehen der Familie am Herzen liegt. Miss Keene, als Sie mich neulich ansprachen –«
    »Ich entschuldige mich für diese Vertraulichkeit, Mylord.«
    »Entschuldigen Sie sich bitte nicht!« Seine Heftigkeit überraschte sie. »Meine eigene Familie behandelt mich wie einen Aussätzigen. Sie waren die Einzige, die mir an jenem Tag echte Wärme entgegengebracht hat.«
    Seine Worte weckten zaghafte Freude in ihr, und Olivia blickte auf ihre gefalteten Hände. Sie spürte seinen Blick auf ihrem Gesicht, und als sie aufschaute, betrachtete er sie aufmerksam.
    »Sind wir uns schon einmal begegnet?«, fragte er leise.
    »Nein, Mylord. Ich sah Sie und Ihre Frau aus der Ferne an dem Abend, als … an dem Abend, bevor Sie aufbrachen, aber das ist alles.«
    »Darf ich fragen, woher Sie kommen?«
    »Nordwestlich von hier, aus der Gegend von Cheltenham.«
    Den Blick auf sie gerichtet, schüttelte er langsam und ungläubig den Kopf, als wäre dies ein unbegreifliches Wunder. Er beugte sich vor, stützte die Ellbogen auf die Knie und bemühte sich vergeblich, beiläufig zu klingen. »Miss Keene, darf ich Sie nach Ihrer … Ihrer Familie fragen?«
    Sie spürte den vertrauten Schmerz in der Magengegend und rutschte auf ihrem Sessel herum. »Was möchten Sie gern wissen?«
    »Wie Ihre Eltern sind, woher sie kommen …«
    Sie konzentrierte sich auf den ersten Teil seiner Frage. »Meine Mutter ist eine wunderbare Frau.«
    Das Gesicht des Earls erhellte sich. »Ja?«
    »Sie ist freundlich und liebenswert. Intelligent und geduldig. Sie lacht gern …« Olivia stockte und versuchte sich zu erinnern, wann sie ihre Mutter das letzte Mal hatte lachen hören.
    Lord Brightwell nickte und es war offensichtlich,

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