Das Schweigen der Miss Keene (German Edition)
Portwein ein. »Ich weiß es sehr zu schätzen, dass du dich darum kümmerst, dass hier alles seinen Gang geht. Während meiner Abwesenheit und auch jetzt. Ich gebe zu, ich bin dieser Aufgabe noch nicht wieder gewachsen.«
Edward nickte verständnisvoll, als sein Vater sich in seinen Lieblingssessel am Feuer fallen ließ.
»Eines Tages wirst du auch meinen Sitz im Parlament übernehmen. Wie sehr wünsche ich mir, ich könnte dabei sein, wenn du deine Ernennung erhältst, den Schwur leistest und dich in das Verzeichnis einträgst …« Lord Brightwell hob sein Glas, als wolle er Edward zuprosten, und fuhr fort: »Ein junger Mann mit einem solchen Verstand wie du, Edward – ach, es ist eine solche Verschwendung, dass du deinem Land erst dienen darfst, wenn ich tot und begraben bin.«
»Zum gegenwärtigen Zeitpunkt sieht es allerdings nicht so aus, als würde ich deinen Sitz jemals übernehmen.«
»Sag das nicht, mein Junge. Wir sind noch nicht am Boden. Es war nur ein Brief und dazu noch sehr vage geschrieben. Das sind nur Verdächtigungen.«
»Vielleicht, aber trotzdem zutreffend.«
Lord Brightwell gab keine Antwort, sondern starrte nur ins Feuer.
Edward beschloss, die Gesprächspause zu nutzen. Er atmete tief durch und fragte mit ruhiger Stimme: »Bist du bereit, mir Näheres zu erzählen?«
»Worüber?«
»Über alles – woher ich komme. Wer meine Mutter war. Wer mein Va-«
Der ältere Mann schnaubte, die Augen immer noch auf die Flammen gerichtet. »Deine Mutter war Marian Estcourt Bradley, Lady Brightwell. Die Frau, die dich geboren hat, war ein angenehmes Mädchen von bescheidener Herkunft.«
»Und mein Vater …? Und sag jetzt nicht ›Oliver Stanton Bradley‹, denn du hast bereits zugegeben, dass ich nicht dein Sohn bin.«
»Natürlich bist du das.«
»Willst du behaupten, dass du doch mein Vater bist? Dass irgendein armes Milchmädchen dein Kind zur Welt gebracht hat?«
»Nein. Ich war deiner Mutter treu. Aber du bist mein Sohn – vielleicht nicht im legalen Sinn, kein männlicher Nachkomme von meinem Fleisch und all das, aber in jedem anderen Sinn bist du es.«
Edward schlug mit der Faust auf den Tisch. »Das reicht mir nicht! Wer bin ich? Wer ist mein Vater? Wer ist die Frau, die mich geboren hat?«
»Willst du das wirklich wissen, mein Junge? Es spielt keine Ro-«
»Es spielt keine Rolle? Unsinn! Natürlich tut es das.« Edward marschierte im Zimmer auf und ab.
»Du weißt, dass ich nichts von diesem Unfug halte, dass jemand von edler Geburt und noblem Blut ist. Ich habe dich aufgezogen, du gehörst zu mir. Du bist genauso ein Bradley, wie ich es bin.«
»Nur wenige Menschen in England würden dir da zustimmen, Sir. Niemand aus dem Adel, das kann ich dir versichern.« Edward sank in den Sessel neben seinem Vater und beugte sich zu ihm vor. »Wer war sie? Wie hieß sie?«
Lord Brightwell kämmte sich mit aufgeregten Fingern durch sein helles, dünner werdendes Haar. »Sie war eine anständige, gottesfürchtige junge Frau, ihr Vater ein vertrauenswürdiger Mann, der … im Handel tätig war.«
»Woher kanntest du sie?«
Er machte eine resignierte Handbewegung. »Sie war als Küchenhilfe angestellt. Bist du jetzt glücklich? Oder vielleicht war sie ein Hausmädchen. Auf jeden Fall kannte ich sie kaum.«
Edward stöhnte. Es war genau, wie er es befürchtet hatte. Er schüttelte den Kopf, als wolle sich sein Gehirn weigern, diese Information aufzunehmen. »Meine Mutter war eine Dienstbotin. Und mein Vater? Lass mich raten. Der Laufbursche? Der Kohlenhändler? Ein Wilderer?«
»Nein.« Der Earl biss die Zähne aufeinander. »Ich fürchte, es ist viel schlimmer.«
Edward starrte ihn fassungslos an. Aber so sehr er Lord Brightwell auch bedrängte, erhielt er doch nur die Antwort, dass er es »zur rechten Zeit« erfahren würde.
Mrs Hinkley stand an der Tür des Studierzimmers und rang nervös die Hände. »Mylord, kann ich kurz mit Ihnen sprechen?«
»Natürlich, Mrs Hinkley, kommen Sie herein.« Edward wartete, bis sie die Tür geschlossen hatte und vor seinen Schreibtisch getreten war. »Was gibt es?«
»Es geht um Martha, das Dienstmädchen. Sie sagten, ich solle nach Weihnachten noch einmal fragen, was mit ihr zu tun ist. Aber dann starb Lady Brightwell und …«
»Ja, ich verstehe.« Innerlich seufzte Edward unter der Last der Verantwortung. Der Earl bestand nach wie vor darauf, solche Entscheidungen ihm zu überlassen. »Hat sie Ihnen verraten, wer der Vater
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